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Ausbildungsumlage in BerlinMake Azubis Great Again

Das Ausbildungsjahr beginnt, Tausende Jugendliche haben keine Stelle. Eine Umlage könnte die Probleme beheben. Doch Unternehmerverbände wehren sich.

Bis die Umlage kommt müssen politisch noch ein paar Bretter geschweißt werden Foto: imago stock&people

Berlin taz | Helene Rappelt* erzählt gerne Erfolgsgeschichten. Einer der Jugendlichen, die sie in ihrer Berufsberatung bei einem freien Träger betreut, steht kurz davor, einen Ausbildungsplatz zu finden. Der Zwanzigjährige hat nach jahrelanger Suche erfolgreich einen Probetag bei einem Anlagenmechaniker absolviert. Nun könne er ein Praktikum dort machen und im Anschluss die Ausbildung beginnen.

„Das Unternehmen war so begeistert, wie er sich präsentiert hat.“ Dabei hat Rappelts Klient nur einen dürftigen Schulabschluss, weswegen er von vielen Unternehmen nicht einmal zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde.

Doch nicht für alle endet die Ausbildungssuche glücklich. Wenn am ersten September das Ausbildungsjahr beginnt, werden wieder einmal tausende junge Erwachsene ohne Ausbildungsplatz dastehen. Die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt verschärfen sich, es gibt zu wenige Plätze für zu viele Bewerber:innen.

Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit machen den Mangel an Ausbildungsplätzen deutlich. Zum 31. Juli meldete die Agentur für Berlin noch 9.760 Bewerber ohne Ausbildungsplatz. Gleichzeitig waren zu demselben Stichtag 5.987 betriebliche Ausbildungsstellen unbesetzt. Auch wenn noch in den letzten Wochen, oder sogar nach Beginn des Ausbildungsjahres noch viele Stellen vermittelt werden, ändert sich an diesem Verhältnis auch in den kommenden Wochen nicht viel. Im Oktober vergangen Jahres suchten immer noch 3.453 Bewerber:innen, während 1.145 Stellen unbesetzt waren.

Die Umlage kommt

Wichtig ist die Tendenz: Die Zahl der Suchenden nimmt zu, während die Zahl der Ausbildungsstellen abnimmt. So gibt es in diesem Jahr 2.092 weniger Ausbildungsplätze als im Vorjahr, während die Zahl der Be­wer­be­r:in­nen ohne Ausbildungsplatz im Vergleich zum Vorjahr um 794 stieg.

Um der Entwicklung entgegenzuwirken, will Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) eine Ausbildungsumlage einführen. Die Idee: Unternehmen zahlen einen Anteil der Bruttolohnsumme aller Beschäftigten in einen Topf. Die daraus resultierende Summe wird dann wiederum für jeden besetzten Ausbildungsplatz an die Betriebe zurück ausgeschüttet. Im Idealfall wird ein Großteil der Ausbildungskosten übernommen. Unternehmen, die wenig oder gar nicht ausbilden, müssten dann draufzahlen. Unternehmen, die viel ausbilden, würden profitieren.

Die Umlage hat es in den Koalitionsvertrag geschafft, unter einer Bedingung. Im „Bündnis für Ausbildung“ einigte sich die Unternehmensvertretung Industrie- und Handelskammer (IHK) mit der Senatsverwaltung darauf, bis zum Ende des Jahres 2.000 Ausbildungsverträge mehr abzuschließen als noch 2023. Wird die Zielmarke erreicht, kommt die Umlage nicht. Doch danach sieht es nicht aus. Gerade einmal 117 Ausbildungsverträge mehr konnte das Bündnis nach einem Jahr vorweisen.

Vor allem der IHK bereitet die Umlage Sorge: „Durch die Umlage wird kein einziger zusätzlicher Ausbildungsplatz geschaffen“, sagt IHK-Sprecherin Claudia Engfeld. Laut Engfeld sind die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit nicht zuverlässig. Zum einen würden nicht alle Betriebe ihre Ausbildungsplätze melden. Das beträfe laut IHK-Umfragen ein Drittel der Betriebe. Zudem sei die Zahl der Suchenden zu hoch angesetzt, bei vielen handele es sich um Karteileichen, die jedes Jahr wieder in der Statistik auftauchten. Auch diesen Anteil schätzt die IHK-Sprecherin auf ein Drittel.

Mismatch oder Mangel?

Passe man die Zahlen an, schwinde der statistische Mangel an Ausbildungsplätzen dahin. „Es gibt diese Lücke nicht“, sagt Engfeld. Stattdessen sei das Problem der „Mismatch“, die Fehlpaarung. Viele Jugendlichen seien einfach nicht geeignet. „Die Jugendlichen kommen nicht gut orientiert aus der Schule und sind einfach nicht ausbildungsreif“, sagt Engfeld. Mehr Ausbildungsplätze würden das Problem nicht lösen, wenn einfach keine geeigneten Be­wer­be­r:in­nen auf dem Markt sind. Die Umlage bezeichnet die IHK daher als „Strafabgabe“, eine reine Schikane der Unternehmen.

Doch das Argument der unfähigen Jugendlichen hinkt. In der Statistik der Arbeitsagentur tauchen nur Jugendliche auf, die aktiv nach einer Ausbildung suchen und grundsätzlich als „ausbildungsreif“ von der Behörde eingeschätzt werden.

Berufsberaterin Helene Rappelt sieht einen Grund für das „Mismatch“-Problem in der mangelnden Offenheit der Unternehmen. Habe ein Bewerber ein schlechtes Zeugnis und viele Fehltage, würde er gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Unabhängig davon, dass viele von Rappelts Kli­en­t:in­nen seit dem Schulabschluss eine enorme Entwicklung durchlaufen hätten.

„Das Hauptproblem ist, Unternehmen gucken nicht auf das Potenzial, sondern das, was war“, sagt Rappelt. Viele Unternehmen bildeten aus der Befürchtung, die Be­wer­be­r:in­nen könnten zu viel Arbeit machen, gar nicht aus.

Gute Erfahrungen in anderen Branchen

Damiano Valgolio, arbeitspolitischer Sprecher der Linken, hält die Angst vor der Ausbildungsumlage für unbegründet. Eine Erstattung des Großteils der Ausbildungskosten, wie sie die Umlage ermöglichen würde, würde das Risiko für Unternehmen auszubilden, deutlich minimieren. Derzeit beliefen sich die Kosten für einen Auszubildenden auf 10.000 bis 50.000 Euro.

Der „Mismatch“ ließe sich so gleich auf zwei Wegen verringern. Zum einen durch die höhere Zahl an Ausbildungsplätzen, zum anderen durch eine Verbesserung der Bedingungen, allem voran Bezahlung und Betreuung, sagt Valgolio.

„In den Branchen, in denen die Umlage tariflich eingeführt wurde, hat sie super funktioniert“. Im Bauhauptgewerbe hat sich die Ausbildungsquote nach der Einführung 1975 auf über fünf Prozent verdoppelt und ist seitdem nicht mehr unter diese Marke gesunken. Auch in der Pflege habe man mit der 2020 eingeführten Umlage gute Erfahrungen gemacht, so Valgolio.

*Name geändert

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