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Ausbildungsmarkt in BerlinIrrationale Angst vor der Umlage

Jonas Wahmkow

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Jonas Wahmkow

Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die Einführung eines Umlagefonds für Auszubildende. Doch die Argumente dagegen halten einer Prüfung kaum stand.

Jobcenter-Aktion „Walk-to-Job“ in der Malz­fabrik Schöneberg Foto: Christoph Soeder/dpa

I mmer mehr Berliner Auszubildende müssen beim Jobcenter aufstocken, um über die Runden zu kommen. Das geht aus einer bisher unveröffentlichten Anfrage des Abgeordneten Damiano Valgolios (Linke) hervor. Demnach stieg die Anzahl der Auszubildenden, die Sozialleistungen bezogen, von 2.952 im Jahr 2022 auf 4.830 im vergangenen Jahr. Das entspricht einem Anstieg von über 60 Prozent. Demzufolge kann jeder siebte Auszubildende seinen Lebensunterhalt ohne Bürgergeld nicht bestreiten.

Die Anfrage ist der jüngste Beitrag in der hitzig geführten Debatte um die Einführung der Ausbildungsplatzumlage. Sie sieht vor, dass ausbildende Unternehmen Geld aus einem Fonds erhalten, in den fast alle Berliner Unternehmen einzahlen müssen.

Die Ausbildungsplatzumlage

Der Gesetzesentwurf Berliner Unternehmen müssen zukünftig einen Teil ihrer Bruttolohnsumme in einen Fonds einzahlen. Die Unternehmen erhalten dann pro Azubi einen Pauschalbetrag zurück. Die Summe soll etwa die Hälfte des durchschnittlichen Azubi-Gehalts betragen.

Die politische Lage Im Koalitionsvertrag einigten sich die Koalitionsparteien darauf, die Umlage einzuführen, sollte es der Berliner Wirtschaft nicht gelingen, bis zum Jahresende 2.000 neue Ausbildungsplätze im Vergleich zu 2023 zu schaffen. Doch bislang sieht es kaum danach auch, dass das Ziel erreicht werden kann. Zieht die CDU mit, könnte die Umlage 2027 in Kraft treten. (taz)

In den letzten Monaten ist insbesondere die Industrie- und Handelskammer (IHK) vorgeprescht, in der Hoffnung, das Gesetz zu verhindern. Doch mit ihrer Kritik schießen die Wirtschaftsverbände teilweise übers Ziel hinaus, wie auch Damiano Valgolios Anfrage zeigt. Der Linken-Politiker rechnet damit, dass die Umlage die Bedingungen für Betriebe und Azubis sogar verbessern könnte: „Wenn den Ausbildungsbetrieben die Kosten über die Umlage erstattet werden, können es sich vor allem kleinere Betriebe leisten, die Ausbildungsvergütung zu erhöhen.“

Die Berliner Wirtschaftsverbände folgen dieser Argumentation nicht. „Die Vergütung ist nicht der Schlüssel zu mehr Ausbildung“, behauptete Jürgen Wittke, Chef der Berliner Handwerkskammer, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz gegen die Ausbildungsplatzumlage am vergangenen Dienstag.

Dabei ist das stärkste Argument gegen eine Ausbildung für Jugendliche die geringe Entlohnung. Das ergab zumindest eine im August veröffentlichte Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) unter Auszubildenden und Schüler:innen. 30 Prozent der Befragten gaben an, die Vergütung sei für sie ein Argument gegen eine Ausbildung. Für rund 60 Prozent sei eine gute Entlohnung der wichtigste Faktor bei der Wahl des Ausbildungsplatzes. „Drei Jahre lang schuften und minderwertig behandelt werden, während ich mit nicht arbeiten komfortabler leben würde“, bringt es einer der Studienteilnehmenden auf den Punkt.

Unmotivierte Be­wer­be­r:in­nen

Verantwortlich für die bundesweit niedrigste Ausbildungsquote ist in Berlin laut IHK hauptsächlich die mangelnde Eignung der Bewerber:innen, die orientierungslos, unmotiviert und ohne die notwendigen Kernkompetenzen aus der Schule kämen. Kurz nach Beginn des Ausbildungsjahres sind im Portal der Industrie- und Handelskammer in Berlin immer noch knapp 5.000 Stellen unbesetzt, während im August noch 7.827 Jugendliche bei der Agentur für Arbeit ausbildungssuchend gemeldet waren.

Ein „Passungsproblem“, dass die Politik lösen sollte, zum Beispiel durch bessere Berufsorientierung an den Schulen, meinen die Wirtschaftsverbände. Die Berliner Unternehmen würden bereits soviel ausbilden, wie sie könnten, daran würde auch die Umlage nichts ändern. „Durch die Umlage wird kein einziger Ausbildungsplatz geschaffen“, wiederholt IHK-Geschäftsführerin Manja Schreiner fast mantraartig.

Dabei sind die hohen Ausbildungskosten für die Unternehmen oft ein Grund, lieber gar keine Auszubildende einzustellen, als jemanden ungeeigneten. So haben Schul­ab­gän­ge­r:in­nen mit unentschuldigten Fehlzeiten in der Praxis kaum eine Chance, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. In der DGB-Studie berichten viele Teil­neh­me­r:in­nen von überzogenen Anforderungen und fehlenden Rückmeldungen auf Bewerbungen. Die Au­to­r:in­nen sprechen von einem „demotivierenden System“ und folgern: „Ausbildungsplätze müssen nicht nur vorhanden sein, sie müssen auch zugänglich sein.“

Ausbildungsquoten in anderen Bereichen nach Einführung verbessert

Welchen Effekt die Umlage haben wird, ist unklar. Erfahrungen aus anderen Branchen, wie dem Bauhauptgewerbe oder der Pflege zeigen jedoch, dass sich dort die Ausbildungsquoten nach der Einführung deutlich verbessert haben. Trotzdem versucht die IHK den finanziellen Vorteil für ausbildende Unternehmen kleinzurechnen. Im Juli veröffentlichte der Wirtschaftsverband ein Rechentool auf seiner Homepage, mit der Unternehmen berechnen konnten, wie viel Geld sie in den Fonds einzahlen müssen beziehungsweise wieder herausbekommen.

Dabei ist der genaue Anteil der Bruttolohnsumme in dem Gesetzesentwurf gar nicht festgelegt, ebenso wenig wie der Pauschalbetrag, den die Betriebe pro Auszubildenden erhalten. Lediglich eine Obergrenze von 0,5 Prozent der Bruttolohnsumme ist im Entwurf enthalten. Die IHK orientiert sich bei ihrem Rechner an dieser Höchstgrenze, wobei für die Pauschale nur ein eher niedriger Wert angenommen wird. So ergibt sich für viele Unternehmen eine Zuzahlung, obwohl sie ausbilden. „BVG droht Strafzahlung von 660.000 Euro“, titelte daraufhin die Morgenpost.

Doch laut internen Berechnungen der Arbeitssenatsverwaltung sind die Zahlen willkürlich und kaum realistisch. Bei einem Abgabeanteil von 0,5 Prozent wäre die Ausgleichspauschale doppelt so hoch wie von der IHK angenommen. Die BVG würde in jedem Szenario von der Umlage profitieren. Statt 660.000 Miese würde das Unternehmen zwischen 500.000 und 1.500.000 Euro erhalten. Tatsächlich würden vor allem kleine und mittelgroße Betriebe von der Umlage profitieren. Ein Restaurant mit 20 Beschäftigten und zwei Auszubildenden könnte demnach mit einem jährlichen Zuschuss von 10.000 Euro rechnen. Auch größere Unternehmen, die viel ausbilden, könnten plus machen.

Von der Unternehmerseite gibt es daher nicht nur Ablehnung gegenüber der Umlage. „Wir wären ein großer Nutznießer dieser Maßnahme“, sagt Sven Reinholz, Geschäftsführer von Zapf Umzüge – auch wenn er generell bei Zwangsumlagen skeptisch sei. Draufzahlen müssten vor allem Unternehmen mit hohen Löhnen, in Branchen, die wenig bis gar nicht ausbilden – wie etwa IT-Unternehmen oder Start-ups. Ob das gerecht und wirtschaftlich sinnvoll ist, sind Fragen, die die IHK zurecht aufwirft.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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