Aus taz FUTURZWEI: Liebe in Zeiten der Cholerik
Was darf man noch, was muss man jetzt? Die #MeToo-Verunsicherung bietet die Chance auf einen Frau-Mann-Dialog auf Augenhöhe.
Ein Sommerabend in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz. Ein recht korpulenter Mann stellt sich neben mir ans Buffet und weist mich darauf hin, dass ich mir das falsche Dessert ausgesucht habe. Er empfiehlt Windbeutel und folgt mir bis zum Stehtisch an der Terrasse mit Blick auf das Brandenburger Tor.
Dort erklärt er mir, so ausführlich wie unverlangt, mich tatsächlich sehr interessierende Dinge, bevor er darauf hinweist, dass er keinesfalls mit mir schlafen wolle. Schmale Hüften und kein Arsch – da stehe er einfach nicht drauf. Eine richtige Frau brauche einen richtigen Arsch. Und im Übrigen heiße er Ingo.
Heute, nur wenige Jahre später, könnte, nein müsste man sagen: Was ein Arsch (also er) – erst bevormunden, dann stalken, dann mansplainen, also Gott und die Welt aus Sicht der selbst ernannten Krone der Schöpfung, des jeweils sprechenden Mannes, erklären und das Ganze mit einem sexistischen Kommentar krönen.
Denn heute leben wir in den sogenannten Zeiten von #MeToo. Zeiten also, in denen Frauen sprechen und Männer meist dazu schweigen. In denen das Recht der Sprechenden gilt und der Akt des Sprechens für heroisch erachtet wird. Man könnte es die Zeit des „Womensplainings“ nennen. Anders als die mansplainenden Männer erklären die Frauen nicht die Welt oder was sie dafür halten. Sie schildern stattdessen, was ihnen widerfahren ist, was Männer ihnen angetan haben und was das angerichtet hat. Sie beschreiben Verletzung.
Wunden werden jetzt gezeigt, Lachen ist verstummt
„Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt“, heißt es in Shakespeares Romeo und Julia. Die Wunden wie deren Vernarbung werden jetzt gezeigt und das Lachen ist verstummt. Sein Echo mag in den Kellern widerhallen, in die all jene hinabsteigen, die sich weiter für unverwundbar halten. Weil sie mächtig sind. Oder Männlichkeit mit Ignoranz verwechseln. Oder die eigenen Wunden äußerst gut zu verdrängen in der Lage sind.
Die längste Zeit hatte die verletzte Frau schlicht kein Forum, keinen Hebel auch, um der Verletzung durch Missbrauch anders zu begegnen als mit aushalten. Allenfalls im Gespräch mit, meist ähnlich ohnmächtigen, Leidensgenossinnen gab es Austausch – „Du also auch“.
2018 – Aufbruch oder Scheiße? Die einen rennen zu den neuen Rechten, die anderen suchen im Jubiläumsjahr Trost bei den 68ern, wir suchen die "2018er"- Menschen, Politik, Liebe. Jetzt in der neuen Ausgabe von taz.FUTURZWEI, auch als Digitalausgabe im taz eKiosk erhältlich. Mit Beiträgen von Jan Böhmermann, Susanne Wiest, Arno Frank, Adrienne Goehler, Tom Strohschneider, Harald Welzer und vielen mehr.
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Am wenigsten jedoch gab es ihn mit den Männern, also den Versehrern, die ja in der Mehrzahl der Fälle bekannt und oftmals die eigenen Partner sind. Einem starken seelischen Reflex zufolge, muss es jedoch der Versehrer sein, der sich zum Heiler wenden soll, der im Wortsinn alles wieder gut machen soll. Das aber ist ihm auf wesentliche Weise unmöglich. Nicht zwingend allein wegen mangelndem Schuldbewusstsein, sondern häufig, weil es schlicht nicht gelernt ist.
Die 68er können kein Vorbild sein
Wer hätte es ihnen beibringen sollen, das Zuhören, Verstehen und Umsteuern: die elterliche Kriegs- und Wirtschaftswundergeneration, die Frauen in die häuslichen Schranken wies? Oder deren Kinder, die 68er, die sich und ihr Selbstbild an männlichen Autoritäten abarbeiteten, weil es weibliche ja gar nicht gab? In der Prä-Yoga-Ära galten selbst Traumata als Gefühle und Gefühle als Gedöns.
Das vorherrschende Bild der verletzten Frau war dann auch die längste Zeit wahlweise die Heulsuse – jetzt stell Dich doch nicht so an – oder der Drachen. Jene Hausfrau also, die mit dem Nudelholz oder der Bratpfanne in der Hand auf den untreuen Gatten wartete. Die man allenfalls mit einem nicht umsonst „Drachenfutter“ genannten Blumenstrauß zu besänftigen suchte. Selbst sich und der Frau zunächst Schuld eingestehende Männer waren früher oder später der Meinung, nun müsse es doch mal wieder gut sein. Den Zeitpunkt legten selbstredend sie fest.
Natürlich haben die Frauen seither an Autorität gewonnen und sind selbst Autoritäten geworden. Sie sind sichtbar und hörbar und haben zunehmend gelernt, das Spiel mit der Macht zu beherrschen. Sie fordern, was ihnen zusteht. Und es sieht nicht so aus, als müssten sie hierzulande noch lange darauf warten, es zu bekommen. Sie verstolpern sich, sie zahlen Lehrgeld, sie trauen sich immer noch zu häufig nicht aus der Deckung, aber die Zeit – und das Regelwerk des Kapitalismus – sind auf ihrer Seite. Die deutlichste Währung der Gleichberechtigung, die Quote, sie wird sich durchsetzen. Wie sich Feministin sein als conditio sine qua non der öffentlichen Frau durchgesetzt hat.
Eine explosive Mischung
Diese Entwicklungen haben den Boden bereitet, auf dem sich nun die explosive Mischung aus Verletzung, Zorn und Empörung verteilt. Der Hashtag als Ventil. Solidarität als Balsam. Rechthaben als Befreiung. Das Opfer als Machthaberin. Der Täter hilflos. Institutionen und ihre Funktionäre beflissen: Noch eine Diskussion hier, noch eine Maßnahme dort und die „Harassment-Beauftragte“ ein Berufsbild mit Zukunft.
Während Reporter in Hundertschaften ausschwärmen, um den Scoop von Zeit-Magazin und Zeit mit noch mehr Promis auf Täter- oder Opferseite zu kontern oder gar zu toppen, mehr und mehr Frauen die Stimme erheben, noch mehr Frauen und Männer ihnen beflissen beispringen, und an allem Genderigen herzlich desinteressierte Branchen und Milieus im toten Winkel der nur scheinbar kollektiven Aufgeregtheit Sexismus as usual betreiben, stellt sich vor allem ein Frage: Und nun?
Jahrgang 1961, ist Schriftstellerin, Journalistin und Geschäftsführerin der Künstler- und Veranstaltungsagentur Barbarella Entertainment. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Zehn Tage im Februar“ (Blumenbar, Januar 2017). Sie ist außerdem Redakteurin und Autorin der feministischen Kolumne „10 nach 8“ auf Zeit Online.
Denn erst wenn der letzte Tweet gepostet, die letzte Frau Recht gehabt hat und der letzte Mann verunsichert ist, werden wir merken, dass man mit einem Hashtag keine Beziehung haben kann.
Die Empörung von heute trifft ja weiterhin auf Bedürfnisse von gestern. Dem Bedürfnis, es irgendwie hinzukriegen: mit der Liebe, mit dem Sex, mit dem Familie sein oder werden. Vielleicht ja auch mit der Formalisierung all dessen. Einmalig mit dem oder der einen oder den vielen, ob nacheinander oder gleichzeitig. Mit den Bildern, den alten und den neuen, die wir uns von uns, dem anderen und dem Miteinander machen. Mit den Verheißungen und Enttäuschungen von Tinder, Grindr und ElitePartner.de, mit den Erwartungen unserer Eltern, Freunde und unseren eigenen. Das ganze addiert mit der digitalen und emotionalen Gemengelage aufseiten des avisierten oder vorhandenen Partners.
Eskapismus ist der falsche Weg
Die verkehrteste Lösung wäre, wie immer im Leben, Eskapismus. In schlechte Filme (alle romantischen Komödien), reflexhafte politische Korrektheit oder Nummer-sicher-Partner einerseits. Oder AfD-Affinität, Puffbesuche oder Wahre-Liebe-wartet-Entsagung andererseits.
Die beste Lösung ist, und hier jetzt bitte nicht einschlafen: sprechen. Jenseits von Mansplaining und Womensplaining. Jenseits auch von der Umformung der Erfahrungen von gestern in die Empörung von heute und die Ängste von morgen. Vor allem aber: Jenseits der Bilder, die wir von uns selbst aus Erfahrungen, Projektionen und Erwartungen formen.
Und damit wäre ich wieder bei Ingo und mir. Wir beide sind an jenem Abend in der Akademie der Künste Freunde geworden. Beste Freunde. Weil – Arsch hin oder her – die Karten gleich auf dem Tisch lagen. Und uns die Offenheit geblieben ist. Vor Kurzem sprachen wir zunächst über #MeToo, dann jedoch rasch übers Sprechen über das zumeist Unausgesprochene.
Wir stellten uns vor, dass dies unser erstes Date wäre. Und unser beider sexuelle Absichten eindeutig. Zunächst legten wir genau diese Eindeutigkeit offen: Ja, wir wollen und wir werden miteinander schlafen. Ich offenbarte meine Unlust an ausgedehntem Vorspiel. Er sprach von seiner Freude am Analverkehr, den ich, mindestens fürs Erste, also diesen Abend, ausschloss. Dann sprachen wir von den Dingen, die wir beide nicht besprechen wollten, um nichts zu zerreden, was keiner vorherigen Klärung bedarf.
So fiktiv die Basis dieses Gespräches, das ja eben genau nicht in den besprochenen Gegenstand münden würde, so raumgreifend die Nähe zwischen uns, die gleichwohl entstand. Und unsere Freundschaft an diesem Abend vertiefte. Und mir ein Modell lieferte, auch und gerade für das nicht Fiktive.
Moralische Zuweisungen überwinden – im Dialog
So eröffnet am Ende die sogenannte #MeToo-Debatte, die eine solche ja gar nicht anstrebt zu sein, sondern eindeutige moralische Zuweisungen vollzieht, vielleicht genau die Chance, Zuweisungen zu überwinden. Im Rahmen eines Dialoges Ebenbürtiger.
Sprechen erzeugt Nähe. Genauer: Miteinander über Gemeinsames sprechen und beidem, dem Formulierbaren wie dem Unaussprechlichen Raum geben, erzeugt Nähe. Zwei Menschen bilden eine Möglichkeitsform mit drei Buchstaben: Wir.
Das freie Verhandeln – frei von Konvention wie von Anklage – dieser Möglichkeitsform ist die große Verheißung eines Miteinanders, das diesen Namen verdient. Weil es die Verletzung umschließt, wie deren Überwindung. Weil es Klarheit verschafft, und sei es die Klarheit eines bevorstehenden Scheiterns. Weil es nichts besser weiß, sondern etwas herausfinden möchte. Über sich, den anderen und das Wir, das sich ergeben kann: freiwillig, aber nicht bedingungslos.
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