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Aus für Hamburger Kriminologie-StudiumAbgründe erforschen

In Hamburg erforschen Stu­den­t:in­nen Verbrechen sozialwissenschaftlich. Das ist in Deutschland einzigartig. Der Studiengang steht vor dem Aus.

Kriminologische Sozialforscher untersuchen Verbrechen wie Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte Foto: Markus Scholz / dpa

Hamburg taz | Warum werden Menschen kriminell? Was sagt Hasskriminalität über unsere Gesellschaft aus? Was hat kriminelles Verhalten mit sozialer Ungleichheit zu tun? Oder: Wie hat sich der Rechtsterrorismus in Deutschland von der Weimarer Republik bis heute entwickelt? Es sind große Fragen, denen sich der kleine Master-Studiengang Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg widmet. Aber nicht mehr lange. Das Studienfach soll eingestellt werden.

„Das ist ein großer Fehler. Es ist eine akademische Katastrophe“, sagt der Kriminologe Nils Zurawski, der am Studiengang eine Vertretungsprofessur übernommen hatte und heute Lehrbeauftragter an der Uni und der Polizeiakademie Hamburg ist. Denn sonst ist die Kriminologie in Deutschland ein Teil der Rechtswissenschaften. Die Internationale Kriminologie aber hat als eigenständiger Studiengang einen besonderen An­satz:­ Sie denkt Sozialwissenschaften und Rechtswissenschaften zusammen.

Diese sozialwissenschaftliche Perspektive der Kriminologie sei in Deutschland einzigartig, sagt Zurawski. In englischsprachigen Ländern hingegen ist es üblich, dass Kriminologie vor allem von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern betrieben wird. Bis 2016 gab es in Hamburg sogar ein eigenes Institut für Kriminologische Sozialforschung – landesweit das einzige seiner Art. Heute ist die Kriminologie ein Fachgebiet des Fachbereichs Sozialwissenschaften. Nun droht auch dem verbliebenen Studiengang das Aus.

Dabei sind die Themen, die dort behandelt werden, hochaktuell. Aktuell beschäftigt sich der Studiengang mit der Frage, wie Menschen mit Unsicherheiten umgehen. Es geht dabei um Phänomene wie die Klimakatastrophe, das Erstarken autoritärer Bewegungen oder die Pandemie. „Wir leben in einer Zeit, in der alles scheinbar unsicherer wird“, sagt der Student Jasper Janssen. „Die Angst vor Kriminalität nimmt zu. Jetzt in der Pandemie fragen sich so viele: Wer sind denn diese Querdenker? Wer gehört alles dazu? Und wie gefährlich sind sie? Unser Studiengang versucht, solche Unsicherheiten mit Fakten sichtbar zu machen – und durch Forschung zu entmystifizieren.“

Universitätsleitung äußert sich bisher nicht

Immer wieder sorgt kriminologische Forschung für Schlagzeilen, so etwa die Studie des Kriminologen Tobias Singelnstein von der Bochumer Ruhr-Uni im Jahr 2020. Darin ging es um mutmaßlich rechtswidrige Polizeigewalt und Rassismus. Damit hat Singelnstein zum noch überschaubaren wissenschaftlichen Erkenntnisstand beigetragen, der bisher zu Rassismus, Gewalterfahrungen und staatlichen Institutionen existiert.

Ziel der Kriminologie ist es, Kriminalität besser zu verstehen, um die Ursachen für Verbrechen umfassender erklären zu können. Dabei werde „die Gesellschaft von ihren Rändern und Abgründen, den Verletzungen und Bedrohungen her betrachtet“, so die Beschreibung des Studiengangs im Internet.

„Kriminologen sind wissenschaftliche Detektive“, sagt Zurawski. Den Blick richten sie dabei auf normabweichendes Verhalten und die Frage, wie die Gesellschaft darauf reagiert – das variiert nämlich. Denn je nach Ort, Kultur und Zeitpunkt gelten sehr unterschiedliche Normen und damit unterscheidet sich auch das, was als normabweichend gilt. Die Entkriminalisierung von Homosexualität etwa ist ein Beispiel für den Wandel gesellschaftlicher Normen und schließlich des Sexualstrafrechts.

Auch Ländervergleiche machen deutlich, wie unterschiedlich Verhalten wahrgenommen und in Gesetzen definiert wird. Deswegen sind wissenschaftliche Erkenntnisse aus anderen Ländern nicht zwingend auf Deutschland übertragbar – was ein gutes Argument für Forschung und Lehre im eigenen Land wäre.

Die Universitätsleitung hat sich zum Ende des Studiengangs bislang nicht offiziell geäußert. Christine Hentschel, Professorin für Kriminologie und Programmdirektorin sowie Vorsitzende des Prüfungsausschusses, bestätigte aber vergangene Woche auf Twitter das Aus des Studiengangs. In diesem Wintersemester werden die letzten Studierenden zugelassen, bis 2027 wird der Lehrbetrieb dann sukzessive zurückgebaut.

Man habe „seit langem zu wenig Personal und Ressourcen“, schreibt Hentschel, es stünden „keine finanziellen Investitionen in den Studiengang in Aussicht“. Zudem würden zwei Professoren in den kommenden Jahren emeritiert. Kurzum: Es gibt zu wenig Lehrpersonal und zu wenig Geld. Aber warum investiert die Universität nicht in diesen Studiengang? Warum stellt sie nicht neue Lehrende ein, wenn der Personalausfall absehbar ist?

Vonseiten der Universität heißt es: „Die Einrichtung und Einstellung von Studiengängen gehört zu den routinemäßigen Aufgaben einer Universität.“ Und weiter: „Die Überlegungen zur Kriminologie sind bereits vor ca. drei Jahren abgeschlossen gewesen. Einen Anlass zur Revision dieser und anderer Entscheidungen gibt es zurzeit nicht.“

Fachschaftsrat bezeichnet Studienaus als Skandal

Für den Fachschaftsrat Kriminologie ist die Einstellung des Studiengangs ein „Skandal“, er fordert die „Ausfinanzierung der Lehre“. Die Studierenden haben sich in einer Initiative zusammengetan, die den Erhalt der kriminologischen Sozialforschung und Lehre in Hamburg sichern soll. Der Fachschaftsrat betont den „tiefgreifenden Nutzen“ des Studiengangs, weil die Forschung vielen Gesellschaftsbereichen zugute komme. Kriminologinnen und Kriminologen arbeiteten in den unterschiedlichsten Bereichen, von Forschung und Lehre über die Opferberatung und die Suchtprävention bis zur Lehre bei der Polizei, der Arbeit mit Straftätern oder als Gutachter.

Ob der Protest der Studierenden das drohende Ende des Studiengangs noch abwenden kann, ist ungewiss. Fest steht, dass die kriminologische Lehre zukünftig Teil des Bachelor- und Masterstudiengangs Soziologie sein wird – das hat die Universität bestätigt. Aber welchen Stellenwert die Kriminologie dann noch einnehmen wird? Wieder eine Frage in unsicheren Zeiten – damit kennen sich die Kriminologinnen und Kriminologen ja gut aus.

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