■ Aus dem Gericht: Agressionen als Zeugnis der Liebe?
Für Ingolf G. war auch gestern immer noch völlig „unverständlich“, wie „ein Konflikt so enden kann.“ Wie es zu der Tat kommen konnte, „das ist für mich immer noch nicht vorstellbar“, sagte er in seinen abschließenden Worten an die Strafkammer des Bremer Landgerichts beim letzten Prozeßtag. Der 41jährige muß sich wegen Totschlags verantworten – weil er seine Freundin mit 15 Hammerschlägen getötet haben soll.
Tatsächlich hatten die Prozeßbeteiligten alle Mühe, das tödliche Beziehungsdrama zu rekonstruieren. Die Urteilsverkündung war eigentlich schon gestern geplant, wurde aber wegen weiterer Zeugen sowie langatmigen Plädoyers von Verteidiger und Staatsanwalt auf heute nachmittag verschoben – nachdem der Verteidiger fast 45 Minuten lang aus einem Buch zur „Agression der Liebe“ zitiert hatte.
Was also war passiert an jenem 17. Dezember vor einem Jahr in der Wohnung der getöteten Freundin? An jenem Tag standen bereits die Nachmieter vor der Tür, die Freundin wollte ausziehen – weil ihr Ingolf G. eine neue Zukunft in einem Reihenhaus mit Garten versprochen hatte. Doch das, so gab Ingolf G. zu, war von Anfang an nicht wahr, die Geschichte mit dem Haus gelogen, die Stimmung in der Wohnung zwischen den beiden gereizt – obwohl er ihr schon vor einer Woche die Lüge gebeichtet hatte. Dann habe sie ihn plötzlich mit einem Messer angegriffen. Er habe dann einen Hammer in der Hand gehabt, den er wegen des Umzugs dabei hatte. Daß er irgendwie zugeschlagen hat, daran erinnere er sich noch. Doch dann seien bei ihm „die Lichter ausgegangen.“
Eine Aussage, die der Staatsanwalt jedoch nicht glaubte. Von Notwehr könne keine Rede sein, sagte Staatsanwalt Hampf in seinem Plädoyer für eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren wegen Totschlags. Ingolf G. hätte seine Freundin auf „brutale und bestialische Art und Weise getötet“. Zeugen hätten berichtet, daß der als Alkoholiker bekannte Mann immer schon gewaltbereit war – die Frau sei zum Teil mit blauen Augen zur Arbeit erschienen. Sie dagegen hätte niemals mit „irgendjemanden Streit gehabt“. Von der Lüge hätte sie erst am Tattag erfahren. Dann habe es wohl Streit gegeben. Daraufhin hätte der Angeklagte zugeschlagen. Die Messerstiche hätte er sich später selber zugefügt – um die Notwehrthese zu belegen. Sechs Tage verbrachte Ingolf G. noch in der Wohnung mit der Leiche. Die Zeit habe er gebraucht, um weitere „falsche Spuren und Fährten zu legen.“ Die drei Selbstmordversuche in dieser Zeit hätte er geschickt vereitelt – weil der ehemalige DDR-Bürger als ausgebildeter Stasi-Mann wußte, wie das zu machen sei.
Die DDR-Vergangenheit seines Mandanten sah Rechtsanwalt Rolf Brandt dagegen eher als strafmildernd an: Ingolf G. hätte in dieser Zeit nur gelernt, sich „zu ducken“ – und nach dem Kopf, aber nicht nach seinen Gefühlen zu handeln. Für ihn hat der Angeklagte in Notwehr gehandelt – weil die Frau zustach. Dann habe es einen zweiten Teil der Tat gegeben, als er weiter mit dem Hammer zugeschlagen hatte. Da seien dann seine ganzen „ungelebten“ Agressionen aus ihm herausgebrochen. Seine Eltern hätten ihm nie beigebracht, agressiv zu sein. Dabei seien Agressionen „der wahre Prüfstein der Liebe“, rezitierte er aus einem Buch über die „Agression der Liebe“. Er sei ausgerastet, weil er früher nicht das bekommen habe „was notwendig war“, erklärte der Verteidiger und forderte bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung für den Angeklagten.
kat
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