Deutschlandbild in Tunis: Politisierte Jobsuche
Wegen der Haltung im Gaza-Krieg ist Deutschland in Tunis regelrecht verhasst. Und doch sind Deutschkurse weiterhin gefragt.
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D eutschland verkörperte lange das, wonach sich viele in der arabischen Welt sehnen. Unbestechlichkeit, Moral, Geradlinigkeit. Seit dem Krieg in Gaza und mit zunehmender Abschottung des Schengen-Raums macht sich Enttäuschung breit. Der mit den kommenden Wahlen erwartete Rechtsruck habe doch schon längst stattgefunden, glauben viele.
Unter der dezenten deutschen Flagge auf der Rue du Palestine hat sich bereits frühmorgens eine lange Schlange gebildet. Aus ganz Tunis sind junge Jobsuchende in den Stadtteil Lafayette gekommen. Geduldig warten sie auf ihren Termin bei der Agentur, die mit Versprechen wie „Ihr Weg nach Deutschland“ wirbt.
Job-und Visavermittler wie diese sind in den letzten Monaten im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden gewachsen. Ohne professionelle Hilfe fürchten auch die gut ausgebildeten Akademiker in der Schlange, in dem Paragrafendschungel der deutschen Bürokratie unterzugehen. Gerade läuft eine Welle der Entrüstung durch die Stadt, die französische Botschaft hatte offenbar die Anzahl der zu genehmigenden Arbeitsvisa klammheimlich reduziert.
Eine Anstellung in Deutschland ist für Ärzte, Programmierer oder Handwerker der neue Lebenstraum. „Ich möchte in Deutschland als Krankenschwester arbeiten“, sagt die 24-jährige Mariem, als sie ihre Unterlagen am Empfangsdesk abgibt. Gelernt hat sie Deutsch ein paar hundert Meter weiter am Goethe-Institut, nach Arabisch, Französisch und Englisch ist es ihre vierte Sprache.
Steine auf das Goethe-Institut
Auch vor dem Goethe-Institut stehen lange Schlangen, die Einschreibung für neue Kurse beginnt. Beamte in Zivil von der um die Ecke gelegenen Wache der Bereitschaftspolizei haben sich unter die Menge gemischt.
Denn Ende letzten Jahres flogen Steine auf das deutsche Sprachlernzentrum. Kulturveranstaltungen deutscher Stiftungen oder des Goethe-Instituts werden von der Zivilgesellschaft seit Beginn des Gazakrieges boykottiert.
„Die langen Warteschlangen und die Steinwürfe scheinen auf den ersten Blick widersprüchlich“, sagt der Student Mohamed. Für seinen Sprachkurs habe seine Familie ihre Ersparnisse zusammengekratzt, sagt der 20-Jährige. Er steht vor einem übermalten Hakenkreuz auf der Mauer des Goethe-Institutes.
„Doch beides zeigt präzise das abgekühlte Verhältnis vieler Menschen in Afrika und der arabischen Welt zu Deutschland.“ Von den Wahlen am 23. Februar wissen in Tunis nur wenige. Auf sozialen Medien überwiegen Bilder des brutalen Vorgehens der Berliner Polizei auf den Pro-Palästina-Demos.
Die Politik der AfD sei doch schon vor der Wahl Normalität gewesen, sagt einer in der Schlange. „Oder wie sonst ist es zu erklären, dass ich mithilfe von Schlepperbanden in wenigen Tagen in Berlin sein könnte. Aber als hochausgebildeter Ingenieur warte ich über ein Jahr auf ein Visum. Obwohl ich bereits einen Arbeitsvertrag mit einer deutschen Firma in der Tasche habe.“
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