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Deutschlandbild in TunisPolitisierte Jobsuche

Wegen der Haltung im Gaza-Krieg ist Deutschland in Tunis regelrecht verhasst. Und doch sind Deutschkurse weiterhin gefragt.

Marktszene in Tunis: Von den Wahlen am 23. Februar in Deutschland wissen hier wenige Foto: Mohamed Messara/epa

D eutschland verkörperte lange das, wonach sich viele in der arabischen Welt sehnen. Unbestechlichkeit, Moral, Geradlinigkeit. Seit dem Krieg in Gaza und mit zunehmender Abschottung des Schengen-Raums macht sich Enttäuschung breit. Der mit den kommenden Wahlen erwartete Rechtsruck habe doch schon längst stattgefunden, glauben viele.

Unter der dezenten deutschen Flagge auf der Rue du Palestine hat sich bereits frühmorgens eine lange Schlange gebildet. Aus ganz Tunis sind junge Jobsuchende in den Stadtteil Lafayette gekommen. Geduldig warten sie auf ihren Termin bei der Agentur, die mit Versprechen wie „Ihr Weg nach Deutschland“ wirbt.

Job-und Visavermittler wie diese sind in den letzten Monaten im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden gewachsen. Ohne professionelle Hilfe fürchten auch die gut ausgebildeten Akademiker in der Schlange, in dem Paragrafen­dschungel der deutschen Bürokratie unterzugehen. Gerade läuft eine Welle der Entrüstung durch die Stadt, die französische Botschaft hatte offenbar die Anzahl der zu genehmigenden Arbeitsvisa klammheimlich reduziert.

Eine Anstellung in Deutschland ist für Ärzte, Programmierer oder Handwerker der neue Lebenstraum. „Ich möchte in Deutschland als Krankenschwester arbeiten“, sagt die 24-jährige Mariem, als sie ihre Unterlagen am Empfangsdesk abgibt. Gelernt hat sie Deutsch ein paar hundert Meter weiter am Goethe-Institut, nach Arabisch, Französisch und Englisch ist es ihre vierte Sprache.

Steine auf das Goethe-Institut

Auch vor dem Goethe-Institut stehen lange Schlangen, die Einschreibung für neue Kurse beginnt. Beamte in Zivil von der um die Ecke gelegenen Wache der Bereitschaftspolizei haben sich unter die Menge gemischt.

Denn Ende letzten Jahres flogen Steine auf das deutsche Sprachlernzentrum. Kulturveranstaltungen deutscher Stiftungen oder des Goethe-Instituts werden von der Zivilgesellschaft seit Beginn des Gazakrieges boykottiert.

„Die langen Warteschlangen und die Steinwürfe scheinen auf den ersten Blick widersprüchlich“, sagt der Student Mohamed. Für seinen Sprachkurs habe seine Familie ihre Ersparnisse zusammengekratzt, sagt der 20-Jährige. Er steht vor einem übermalten Hakenkreuz auf der Mauer des Goethe-Institutes.

„Doch beides zeigt präzise das abgekühlte Verhältnis vieler Menschen in Afrika und der arabischen Welt zu Deutschland.“ Von den Wahlen am 23. Februar wissen in Tunis nur wenige. Auf sozialen Medien überwiegen Bilder des brutalen Vorgehens der Berliner Polizei auf den Pro-Palästina-Demos.

Die Politik der AfD sei doch schon vor der Wahl Normalität gewesen, sagt einer in der Schlange. „Oder wie sonst ist es zu erklären, dass ich mithilfe von Schlepperbanden in wenigen Tagen in Berlin sein könnte. Aber als hochausgebildeter Ingenieur warte ich über ein Jahr auf ein Visum. Obwohl ich bereits einen Arbeitsvertrag mit einer deutschen Firma in der Tasche habe.“

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Mirco Keilberth
Auslandskorrespondent Tunis
Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.
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7 Kommentare

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  • "Die Politik der AfD sei doch schon vor der Wahl Normalität gewesen" Realistische Einschätzung des Ist-Zustandes, dem ist nichts hinzuzufügen.

  • Mir ist es lieber, wegen der Solidarität Deutschlands mit Israel verhasst zu sein, als dass mir Leute begeistert erzählen, dass Hitler "das mit den Juden schon richtig gemacht" habe. Das kann einem in der arabischen Welt nämlich durchaus passieren.

  • "Wegen ihre Haltung im Gaza-Krieg ist Deutschland in Tunis regelrecht verhasst. Und doch sind Deutschkurse weiterhin gefragt."



    Zwei kurze Sätze die das ganze Dilemma zusammenfassen. Das ist das große Problem. Unsere europäische Kultur und unser Gesellschaftsbild wird abgelehnt.



    Israel ist deutsche Staatsräson. Aus uns allen bekannten Gründen. Das deutsche Erbe diesbezüglich hat kein Verfallsdatum.



    Wer hier leben will, wer hier arbeiten will, wer Teil von uns werden will - der MUSS unser Gesellschaftsbild akzeptieren.



    Das tolerieren von Parallelgesellschaften sind ein Grundproblem und erschweren erfolgreiche Integration massiv.



    Es ist eben das Bild der 50er und 60er das grundfalsch ist - auf Seiten der Deutschen als auch der Migranten.



    Wir brauchen keine Arbeitssklaven, wir brauchen Menschen die Teil dieser Gesellschaft werden wollen - und das beinhaltet das akzeptieren und tolerieren unserer Bräuche, Regeln und auch der deutschen Staatsräson.



    Wer Israel ablehnt, wer das Christentum als minder bewertet, der ist hier falsch.



    Eine weltoffene Gesellschaft darf, kann - und ja MUSS diese Bereitschaft von allen einfordern, die hier leben wollen.

  • "... Aber als hochausgebildeter Ingenieur warte ich über ein Jahr auf ein Visum. ..."



    Das ist seit Jahren eins der Hauptprobleme einer geregelten Zuwanderung bzw. eines Besuchs, Wartezeiten von Monaten bis Jahren, um überhaupt einen Termin zur Antragstellung zu bekommen, danach kommen dann noch die weiteren Zeiten zur Bearbeitung. Das hat die letzten Außenminister scheinbar nie interessiert. Ich kenne Familien, wo ein Elternteil (der auch vor Jahrzehnten schon in Deutschland gearbeitet hat) als Rentner so lange auf ein Besuchervisum warten muss, sich dann in Schweden trifft, weil man nicht weiß ob Opa eine deutsche Visaerteilung noch erleben würde.



    Das ist ein Punkt, den ich Frau Baerbock konkret vorwerfe, hier hätte sie sicher etwas verbessern können.

  • In Bezug auf Gaza hätten wir in Wahrheit nichts richtig machen können, um den tunesischen Erwartungen zu entsprechen. Bei mehreren Besuchen und in vielen Gesprächen mit den unterschiedlichsten Menschen im Land, war ich immer wieder erschrocken über die sehr einseitige Sicht vieler Gesprächspartner. Trotz der langen jüdischen Geschichte in Tunis und auf Djerba, gab es fast nur Empathie für die palästinensische Sicht der Dinge und wir wurden nicht nur einmal als Deutsche „wegen Hitler und seinem konsequenten Vorgehen“ geschätzt. Da bin ich dann doch eher froh, dass diese Wertschätzung der Deutschen jetzt hoffentlich endgültig Geschichte ist. Ich würde mir wünschen, dass es gemeinsam gelingen könnte gerade mit den wissensdurstigen und -fähigen Tunesiern eine echte Partnerschaft auf Augenhöhe zu entwickeln. Aber dazu müsste sich eben nicht nur die oftmals überhebliche Sicht vieler Deutscher auf die Nordafrikaner ändern, sondern auch die teilweise rassistische Sichtweise der arabisch geprägten Tunesier gegenüber Juden und Schwarzafrikanern.

  • Das sind keine guten Aussichten, dass bei vielen Zuwanderern Deutschland "regelrecht verhasst" ist. Da sind zukünftige Konflikte geradezu vorprogrammiert.

    • @gyakusou:

      Dass Schland bei vielen Zuwanderern "regelrecht verhasst" sei, ist aber Ihre eigene Interpretation, und nicht die des Artikel.