Aufwertung eines Stadtteils: Hilfe, Kreuzberg ist hip!
Anwohner und Politiker diskutieren über die Veränderungen im Wrangelkiez. Schnell wird klar: Nicht die Touristen sind das Problem, sondern die steigenden Mieten.
Das abschreckende Beispiel liegt für viele nur wenige Kilometer weiter nördlich. "Vor zehn Jahren war der Prenzlauer Berg auch hip, witzig und billig. Heute ist er teuer und tot", ruft ein schlaksiger junger Kreuzberger ins Saalmikrofon. Er sehe diese Entwicklung auch im Wrangelkiez kommen. Obwohl er selbst ein Café in der Falckensteinstraße betreibt, fürchtet der junge Mann die Aufwertung der Gegend. Er warnt: "Wir sind an dem Punkt, wo die Balance verloren geht. Da muss massiv etwas getan werden!" Der Anwohner erhält lauten Applaus.
"Der Kiez im Wandel - wohin entwickelt sich der Wrangelkiez?" heißt die Veranstaltung, zu der das Quartiersmanagement am Montagabend in den Lido-Club an der Cuvrystraße geladen hat. Das Thema beschäftigt die Leute: Rund 200 Anwohner und andere Interessierte sitzen und stehen bis ganz hinten.
Erst Anfang März hatte eine Diskussion der Grünen für Aufregung gesorgt. Der provokante Titel: "Hilfe, die Touris kommen!" Am Montag wird schnell klar, dass nicht die Touristen das Hauptproblem des begehrten Stadtteils sind, sondern steigende Mieten und ihre Folgen.
Kerstin Jahnke vom Quartiersmanagement veranschaulicht die Entwicklung der Gegend anhand einiger Fakten. Die Preise bei Neuvermietungen sind demnach in den letzten Jahren um 22 Prozent gestiegen. Türkische Bewohner zögen vermehrt weg. Früher hätten sie 68 Prozent der Ausländer im Wrangelkiez ausgemacht, sagt Jahnke. Diese Zahl sei inzwischen auf 46 Prozent gesunken. Gleichzeitig habe der Anteil der Ausländer aus den westlichen EU-Staaten von 10 auf 25 Prozent zugenommen. "Der Kiez ist internationaler geworden", so ihre Schlussfolgerung.
Der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), wohnt selbst seit mehr als 25 Jahren im Quartier und schwelgt zunächst in Erinnerungen. "Auf der Schlesischen Straße haben wir früher Fußball gespielt", erzählt er. Nach dem Mauerfall hätten viele eine Yuppisierung gefürchtet, stattdessen sei der Wrangelkiez aber abgestürzt - bis ab 2000 der Umschwung kam und viele Junge plötzlich ins Viertel drängten.
"Wie wollen Sie den Leuten konkret helfen, die sich die Mieten jetzt schon nicht mehr leisten können? Wo sollen wir denn hin?", fragt eine Anwohnerin. Auf Bezirksebene seien die Möglichkeiten, hier einzugreifen, beschränkt, erklärt Schulz. Er mahnt Initiativen auf Landes- und Bundesebene an, um Mietsteigerungen zu begrenzen oder zu verhindern. Den Betroffenen im Lido hilft das wenig.
Und dann geht es doch wieder um die Besucher von auswärts. "Wir sind nicht gegen Touristen, sondern gegen Ballermann-Touristen. Der neueste Trend ist, mit einem Bollerwagen voller Alkoholika durch die Gegend zu ziehen", beschwert sich eine Frau. Schulz beschwichtigt: "Wenn der Betrieb eines Hostels in einem Wohngebiet beantragt wird, lehnen wir das ab." Was der Bezirk jedoch nicht verhindern könne, sei die Vermietung von Wohnungen als Ferienapartments. Das müsse der Senat regeln.
Sogar der für Kreuzberger Verhältnisse ungewöhnliche Ruf nach mehr Ordnungsamtskontrollen wird im Lido zwischenzeitlich laut. Die Tische auf den Gehwegen der Falckensteinstraße stünden zu eng beieinander, so die Begründung. Der Stadtrat für Wirtschaft, Bürgerdienste und Ordnungsamt, Peter Beckers (SPD), outet sich ebenfalls als Anwohner, der früher auf der Schlesischen Straße Ball gespielt hat - und verspricht brav: "Das Ordnungsamt wird in diesem Sommer verstärkt darauf achten, dass die Vorschriften eingehalten werden." Beckers ist der Einzige, der die Entwicklung im Kiez ausdrücklich begrüßt. Noch vor drei Jahren hätten Gewerbetreibende aus der Gegend über die schwache Kaufkraft geklagt. "Ich hoffe, dass niemand hier den Zustand früherer Zeiten wiederhaben will", so Beckers.
Als Chef des Ordnungsamts weiß Beckers aber auch: Der Müll hat zugenommen und die Lärmbelastung. Lutz Leichsenring, Sprecher der Club-Commission, verteidigt seine Zunft: "Wenn man in der Innenstadt wohnt, muss man mit einem gewissen Lärm leben. Dafür gibt es hier auch andere Angebote." Einige im Publikum buhen ihn aus. Und schon bricht die Empörung über Besucher wieder durch. Eine Frau ruft: "Die kommen her, pinkeln und kacken in die Ecke. Und wir müssen das wegmachen!"
Gegen Ende fordert eine Anwohnerin, Kreuzberg müsse zurück zu seinen revolutionären Wurzeln. "Vielleicht sollten wir den Immobilienvertretern mal einen Besuch abstatten?", schlägt sie vor. Zunächst gibt es erst mal einen Runden Tisch, an dem alle Betroffenen noch einmal über die Probleme reden wollen.
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