Aufwachsen neben der Autobahnbaustelle: 11,3 Kilometer Freiheit
Der Bau der A26 von Stade nach Hamburg hat die Jugend einer ganzen Generation geprägt. Unsere Autorin gehörte dazu.
Da waren einerseits die Umweltschützer:innen, in deren Vorgärten die „A26 Nein danke“-Schilder wohl noch heute verrotten. Sie wollten diese vierspurige Schneise durchs Alte Land zwischen Stade und Hamburg vollkommen verhindern. Dabei ging es um den Erhalt wertvoller Niedermoorböden. Das hat schon mal nicht geklappt.
Und dann waren da Menschen wie mein Vater, die sich zwar irgendwie damit arrangiert haben, dass die Autobahn gebaut wird. Das soll ja gut für die Wirtschaft sein und immerhin kommt man auch schneller nach Hamburg. Zudem war man von der Alternativroute leidgeprüft: An der Bundesstraße 73 wechselten sich Bordelle, Lovemobile und Holzkreuze für Verkehrstote ab. Und Stau war da immer! Da schien der Autobahnbau gar nicht so verkehrt. Aber das Wie wirkte auf die Stader:innen wie ein Schildbürgerstreich.
Die Pläne für die Autobahn stammen schon aus dem Jahr 1970. Damals tauchte die A26 zum ersten Mal in einem Bundesfernstraßen-Bedarfsplan auf. Die Bauarbeiten begannen so richtig dann 2002. Sand wurde zu einem Damm aufgeschüttet, meterhoch, und dann die eigentliche Fahrbahn asphaltiert.
2008 – das Jahr, in dem ich Abi gemacht habe – war es dann endlich so weit. Der damalige Landrat und ein paar andere Herren im Anzug trugen feierlich das rot-weiße Absperrschild von der Fahrbahn. Kurze Zeit später waren ich und mein kleiner schwarzer Corsa auf der Piste! Gleich hinter der Abfahrt bei McDonald’s lag die große Freiheit. Für 11,3 Kilometer. Von Stade bis ins Nachbardorf Horneburg.
Das Gaspedal voll runtergedrückt, fuhr mein Corsa vielleicht 150 km/h, mit etwas Rückenwind. Gerechnet auf die Länge der Strecke begrenzt das das Freiheitsgefühl auf 4 Minuten und 31 Sekunden. Dann die Ausfahrt nehmen und wieder zurück nach Stade, die letzten Meter das gelbe M von McDonald’s im Blick.
Bis heute ist die Autobahn nicht fertig. Es stockt hinter Jork, einem bildhübschen Fachwerkkaff, und der Märchenstadt Buxtehude, die es tatsächlich gibt. (Ich muss es wissen, mein meckernder Vater wurde dort geboren.) Da die Anwohner:innen auch dort störrisch sind, wurde der Bauprozess ordentlich ausgebremst.
Dabei ging es gar nicht wirklich um die Autobahn selbst, sondern vor allem um die Buxtehuder Abfahrt. Für die erste Verschiebung des Standorts sorgte der seltene Wachtelkönig. Autobahnbefürworter:innen vermuteten hinter vorgehaltener Hand, das Gezwitscher sei vom Band gekommen. Die dann erdachte Alternative wurde von Anwohner:innen vor Gericht gestoppt, weil direkt vor ihren Vorgärten meterhohe Lärmschutzwände entstehen sollten. Eine ziemliche Sensation damals. So richtig klar ist noch immer nicht, ob Buxtehude, die einzige nennenswerte Stadt zwischen Stade und Hamburg, eine eigene Abfahrt bekommt.
Doch auch über die nächste Baustelle an der geplanten Abfahrt Rübke hinter Buxtehude berichten Medien schon wieder, dass es zu Verzögerungen komme. Es habe mehr „Bodensetzungen“ gegeben als vorher vermutet. Ich will ja nicht sagen, mein Vater hat es euch gesagt, aber …
Und von den Jorker:innen habe ich da noch gar nicht erzählt. Die hatten für kurze Zeit durchgesetzt, dass die komplett bis zu ihrer Abfahrt fertiggestellte Autobahn nur in Richtung Stade eröffnet wurde. Man hatte keine Lust auf die „erhöhte Verkehrslast“ durch den schmucken Ortskern. Durchgekommen sind die Jorker:innen damit nicht, aber sie schildern die Autobahn bis heute nicht richtig aus. Eine sehr deutsche Kunstform: passiv-aggressive Beschilderung.
Doch die Erinnerungen an die Zeit, als die A26 noch nicht fertig war, kann mir keiner nehmen: In der Abi-Phase habe ich mit Freund:innen auf der Baustelle Golf gespielt. Man kann auf den Sandbergen gut Abschläge üben. Ich bin mir sicher, irgendwo zwischen Moorboden und Asphaltdecke sind ein paar weiße Bälle erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen