piwik no script img

Aufstrebender Hamburger FußballvereinPlötzlich umgeben von Voll-Profis

In nur vier Jahren hat es der Eimsbütteler TV von der Bezirks- in die Regionalliga geschafft. Das liegt auch an Trainer Khalid Atamimi.

Schon viele Erfolge gefeiert: Trainer Khalid Atamimi bringt seinen Spielern auch das Feiern bei Foto: Imago/Justus Stegemann

Hamburg taz | Da wartet er schon, am trainingsfreien Mittwoch, vor dem Galette-Bistro an der Hamburger Osterstraße. Buchweizen-Crêpes, belegt mit allerlei Köstlichkeiten, heiß vom Blech – wer könnte dazu schon Nein sagen? Khalid Atamimi jedenfalls nicht; er entscheidet sich für den Klassiker mit Spiegelei und schwärmt vom Nährwert.

Wer diesen schlanken Kerl voller Energie mit seinen 32 Jahren trifft, möchte ihm mit auf den Weg geben: Achte auf Dich! Iss ruhig etwas Nahrhaftes! Denn der junge Fußballtrainer steht vor seiner bislang aufregendsten Saison, die sicher an die Nerven gehen und vollen Einsatz erfordern wird.

Dabei muss man ihm die Wörter „Traum“ oder „Wunder“, gar nicht in den Mund legen. Aber ein wenigstens traumhafter Aufstieg ist es doch, den der Eimsbütteler Turnverband (ETV) da in den vergangenen vier Jahren von der siebtklassigen Bezirksliga in die Regionalliga hingelegt hat. „Wir sind jetzt auf der Landkarte“, sagt Atamimi und zeigt nicht zum letzten Mal sein entwaffnendes Lächeln.

Ja, da ist jemand stolz, einen Verein an die Grenze des Bezahlfußballs geführt zu haben, der doch eigentlich „nur“ für seine gute Jugendarbeit, seine riesige Nachwuchsabteilung und als Gesamtverein durch Größe, Cleverness und Vernetzung im Stadtteil bekannt ist: Wer in Eimsbüttel hat noch nicht beim ETV Sport gemacht?

Auf Niederlagen eingestellt

Atamimi hat indonesische Wurzeln, wurde hier geboren und lernte Fußball bei Grün-Weiß Eimsbüttel (GWE) im Schatten der Lenz-Siedlung mit seinen hohen Plattenbauten. Nach Jahren als Spieler bei GWE, den Alsterbrüdern und dem ETV war er „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, um den ETV im September 2021 als Coach in der Landesliga zu übernehmen.

Zwei Aufstiege später steht der B-Schein-Inhaber vor seiner größten Bewährungsprobe, wenn er die Novizen vom Lokstedter Steindamm, den er liebevoll „Loki“ nennt, in der vierten deutschen Spielklasse halten soll. Und wenn nicht? Wenn es gegen die Voll-Profis aus Flensburg, Meppen und Oldenburg nur Niederlagen hagelt? Atamimi antwortet: „Was soll passieren? Das wäre doch ganz normal.“

Auf einen Start mit fünf, sechs Spielen ohne Sieg versucht er seine junge Mannschaft einzustellen – es ist eine Mannschaft, in der keiner Geld mit dem Fußball verdient. Sie arbeiten tagsüber, studieren oder machen eine Ausbildung, ehe sie abends vier Mal in der Woche trainieren. Dabei muss sich der Coach bremsen. Er würde gern mehr vermitteln, sie schneller voranbringen. Doch die Strukturen ohne einen Mäzen verhindern das.

Geschäftsführer Frank Fechner forciert die mutigen Plänen der ersten Mannschaft. Fußball-Chef Michael Richter und Nachwuchskoordinator Jasper Hölscher sowieso – schließlich spielt Hölscher in diesem Team, als 25-Jähriger schon der Routinier. Fast der gesamte Kader hat eine ETV-Vergangenheit. Das bindet alte und neue Fans. Zuletzt kamen über 2.000 Menschen an den „Loki“ und sahen den ETV gewinnen. Mal sehen, wie es jetzt wird: „Wir sind in keinem Spiel der Favorit.“ Für das Abenteuer Vierte Liga muss der ETV in den Sportpark Eimsbüttel an der Hagenbeckstraße ausweichen – dort sind die Vorgaben des DFB erfüllbar.

Nur im Team erfolgreich

Khalid Atamimi selbst lernt Schifffahrtskaufmann; er will das Geschäft verstehen, sein Vater besitzt in Indonesien eine Reederei. Er kennt es nicht anders, als zweigleisig zu fahren: Während er sein Duales Studium bei der Schanzenbäckerei absolvierte und mit dem Master in Business Administration abschloss, begann sein Tag um vier Uhr früh. Jetzt sind die Tage lang und länger, weil er abends Gespräche mit seinen Spielern führt, in denen es um Entwicklung, Perspektiven, Stärken, Schwächen geht.

Daraus zieht Atamimi seinen Honig: „Wenn die Jungs dir zuhören, dir folgen, wenn ich sehe, wie sie auch menschlich weiterkommen – das ist die Währung, in der ich bezahlt werde.“ Wenn er es für richtig hält, lässt er Talente des Jahrgangs 2006 hospitieren und seinen schnellen, mutigen Stil aufsaugen.

Zu Hause in Schnelsen dreht sich nicht alles, aber vieles um Fußball. Seine Freunde Loic Favé und Fabian Hürzeler sind beim FC St. Pauli angekommen; Hürzeler wurde als Coach der BraunWeißen wegen der erstaunlichen Siegesserie in der vergangenen Zweitliga-Saison bestaunt. Man merkt, wie sehr ihn Atamimi schätzt; 2020 wohnte Hürzeler ein Jahr bei ihm. Worte des Lobes gab es auch schon in die andere Richtung.

Nichts habe er allein geschafft und geschaffen, das betont Khalid Atamimi. Das Team hinter dem Team sei stark genug, um den ETV durch die Regionalliga zu tragen. Darüber hinaus spürt er Rückenwind: „Wir haben noch nie so viel Zuspruch für unsere Arbeit bekommen.“ Er merkt, dass die Szene seinen jungen Wilden den Aufstieg aus der Oberliga gönnte – und nun voller Spannung zusieht, wie sich die Studenten vom Steindamm eine Liga höher bewähren.

Der Saisonauftakt gegen Spelle-Venhaus ging knapp verloren, auch das Spiel am gestrigen Sonntag gegen die zweite Mannschaft des FC St. Pauli endete mit einer 1:4-Niederlage.

Der nächste Feiertag soll im Sportpark Eimsbüttel der 20. August werden, da ist der 1. FC Phönix Lübeck zu Gast. Und vielleicht schaut Hürzeler seinem Freund ja bei der Arbeit zu.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!