Aufstieg in die erste Fußball-Bundesliga: Der HSV hat bessere Chancen denn je
Mit dem jungen Trainerteam um Merlin Polzin erscheint ein Aufstieg realistisch. Zudem hat sich die wirtschaftliche Situation des Vereins verbessert.

Merlin Polzin heißt der Mann, der dem HSV den Frühjahrs-Blues austreiben soll. Es sind noch ein paar Wochen, ehe der Winter sich verabschiedet – doch nach dem 3:0-Heimsieg gegen den 1. FC Kaiserslautern am Freitag fühlt sich der HSV bereit, der üblichen Krise zu trotzen. Neun Spiele nicht verloren, dazu ein starker Vortrag gegen den Rivalen um den Aufstieg aus der Pfalz: Polzin, 34 Jahre alt, hat einen ganzen Verein hinter sich gebracht. Wie das?
Durchsetzungskraft hat Polzin in neun Spielen als Chef schon nachgewiesen. Er hat namhafte Spieler herausgenommen, Kritik sachlich-fachlich platziert und ist in seiner Art zu führen von seinen Vorgängern abgerückt – die Rede vom „Team“ wirkt bei ihm nicht vorgeschoben, denn die Assistenten Loïc Favé (32) und Richard Krohn (29) sind gleichgewichtete Partner.
Polzin schwärmt von der Verbindung zu seiner relativ jungen Mannschaft: „Wir können nur etwas verändern und erreichen, wenn wir eine gute und belastbare Beziehung zueinander haben“, sagt der Trainer. „Das entsteht über Austausch, dass wir wissen, welche Menschen hinter den Spielern stecken. Deswegen haben wir aber keine Wohlfühloase. Wir wollen Menschen dazu bringen, Höchstleistungen zu erbringen.“
Auf der Vorstandsebene schätzt man vor allem diese Entwicklung, denn der finanzielle Rahmen ist besser denn je. Dafür steht Finanzvorstand Eric Huwer. Zum guten Trend gehört, die noch verbleibenden 58 Millionen Euro Verbindlichkeiten abzubezahlen.
Merlin Polzin, HSV-Trainer
Schon zwei Jahre vor der Zeit ist das Stadion abbezahlt. Es gehört nun dem HSV, woraus auch Verantwortung wächst, ist die Arena doch emotionales Zuhause des ganzen Vereins. Durch sinkende Kapitallast erhöhen sich die Mittel, die in den Kader fließen können – wiewohl Huwer auch sagt, dass ab sofort jedes Jahr ins mittlerweile 25 Jahre alte Stadion investiert werden muss. So steht eine Modernisierung des Caterings an, um die Speisenauswahl zu verbessern und vergrößern. Mehr und modernere Toiletten müssen her.
Huwer hat einen Plan für die nächsten drei bis fünf Jahre. Natürlich sieht er den schnellstmöglichen Aufstieg vor. Huwer sagt: „In der ersten Liga kommen wir in andere Wachstumsgefilde. Gerade bei den Hauptpartnern, den Sponsoren, hätten wir erhebliche Steigerungen der Engagements, weil wir ganz andere Reichweiten erzielen.“
Mit 50 Millionen Euro Lizenzspieler-Etat würde der HSV in der ersten Liga planen, vorerst, um sich im Mittelfeld zu halten. 70 bis 80 Millionen hielte Huwer bei einem Umsatzwachstum auf 160 bis 170 Millionen für realistisch – und den Blick nach oben. „Der Weg der wirtschaftlichen Seriosität wird von positivem Feedback begleitet. Das freut uns“, sagt Huwer. „Derzeit begeistern wir aber vor allem über die Marke HSV. Wir wollen auch wieder über Leistung auf dem Rasen, mit Vorbildern und Erfolgen begeistern.“
Die Qualität im Training sei erheblich gestiegen, berichten Beobachter, was auch daran liegt, dass Polzin anders als seine Vorgänger in Hamburg lebt und arbeitet. Hier will jemand eine große Chance nutzen, ist Polzin doch HSV-Fan seit seiner Jugend, trainierte den Nachwuchs, verließ den Stadtteil Bramfeld nur für sein Lehramtsstudium in Osnabrück, kam 2020 mit dem damals als Cheftrainer verpflichteten Daniel Thioune zurück und war dann „Ko“ beim HSV unter Horst Hrubesch, Tim Walter, Steffen Baumgart.
„HSV Fußball AG“ – das klang schon immer ziemlich hochtrabend für einen Zweitligisten. Nun ist die seit Juni 2014 operativ tätige AG passé.
Eine neue Rechtsform hat sich der HSV in der vergangenen Woche gegeben: Aus der AG ist die HSV Fußball AG & Co. KGaA geworden. Sie agiert als reine Vermögensverwaltungs-Gesellschaft ohne Einfluss auf den Profi-Fußball. Die neue HSV Fußball Management AG verantwortet künftig das operative Geschäft. Die Mitglieder hatten der Umfirmierung im vergangenen Sommer zugestimmt.
Ein Darlehen von Investor Klaus-Michael Kühne aus dem Jahr 2023 in Höhe von 30 Millionen Euro wird im Zuge der Rechtsformänderung in Anteile an der KG umgewandelt. Die Hamburger müssen das Geld somit nicht zurückgeben und auch keine Zinsen mehr darauf zahlen. Kühnes Holding gehören im Gegenzug nun 21 Prozent an der KGaA. Der HSV ist mit 68,4 Prozent beteiligt, hält damit erstmals weniger als 75 Prozent an der Profifußball-Abteilung. Der Rest verteilt sich auf weitere kleinere Anteilseigner der alten AG.
Die 50-plus1-Regel, nach der die Stammvereine mehr als 50 Prozent an Fußball-Kapitalgesellschaften halten müssen, wird von der neuen Rechtsform nicht angetastet.
Als es im November 2024 darum ging, wer es im siebten Zweitligajahr als Nächster probieren sollte, sprachen sich viele Spieler für Polzin aus. Vor allem ein Sieg in Karlsruhe und das 5:0 gegen Fürth schufen Argumente. Doch der Weg zum nächsten Chef war kein schnurgerader, sondern typisch HSV: Bruno Labbadia wähnte sich schon zum dritten Mal auf der Bank, Lukas Kwasniok und Danny Röhl wurden kontaktiert. Auf Schlingerkurs näherte man sich dann Polzin an.
Nun sind alle zufrieden mit ihrer Entscheidung, denn die Ausbeute mit sechs Siegen und vier Unentschieden ist ansehnlich und führte bei Beibehaltung in Richtung Aufstieg. Und doch erinnerten zuletzt die Auftritte bei den „kleinen“ Teams in Ulm, Münster und Regensburg in ihrer Lethargie und Fehlerhaftigkeit an die bleiernen Monate unter Vorgänger Steffen Baumgart – ohne jedoch verloren zu gehen, Torjäger Davie Selke sei Dank. Ein Fingerzeig, dass der HSV den Frühling diesmal unbeschadet überstehen könnte?
Bis zur Länderspielpause Mitte März geht es gegen die Teams, die aktuell hinter dem HSV stehen. Eine Chance, sich abzusetzen, spielen die Hamburger gegen die „Guten“ doch meist besser. So wie gegen Kaiserslautern. Ob das auch am Sonntag in Paderborn gelingt, ist ungewiss. Denn dass auf starke Auftritte rätselhafte folgen, war in den letzten Jahren ein Hamburger Naturgesetz.
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