Aufstand in Libyen: Heerscharen von Freiwilligen
Die Stadt Bengasi ist das Zentrum der Aufständischen. Hunderte von Jugendlichen lassen sich in Schnellkursen zur militärischen Verteidigung ihrer Stadt ausbilden.
BENGASI taz | "Sagt Gaddafi, wir kommen", ruft einer der Jugendlichen, der sein Auto vor einer der Kasernen in der ostlibyschen Stadt Bengasi geparkt hat und mit seinen Freunden auf dem Weg in den Innenhof des Stützpunkts ist, um einen Schnellkurs zur Verteidigung seiner Stadt mitzumachen.
Wie ein Lauffeuer hatte sich am Morgen die Nachricht verbreitet, dass Gaddafi-loyale Truppen eine Offensive begonnen haben, um an die Rebellen verloren gegangenes Gebiet im Osten Libyens zurückzuerobern. Doch statt vor Angst ihre Sachen zu packen und zu fliehen, waren die Jugendlichen zu Tausenden am Morgen in die Kasernen der Stadt geströmt, um militärisch geschult und eingeteilt zu werden.
Im Visier der Gaddafi-Truppen liegt die Stadt Brega, 250 Kilometer westlich von Bengasi. Dort befinden sich wichtige Ölanlagen, ein Ölverladehafen und ein strategisch wichtiges Flugfeld. Zunächst verlautete, die Gaddafi-Truppen hätten die Stadt überrannt, dann hieß es wieder, die Rebellen hätten sie zurückerobert. Gleichzeitig flog Gaddafis Luftwaffe Angriffe gegen die noch weiter im Osten gelegene Stadt Ajdabiya, die nur 160 Kilometer von Bengasi entfernt liegt. Auch dorthin sollen Bodentruppen des Regimes unterwegs sein.
Drinnen in der Kaserne steht ein übergelaufener Offizier der Armee vor einem Flugabwehrgeschütz und erklärt den Gebrauch, wie es sich drehen, nachladen und schießen lässt. Eine Gruppe von hundert Jugendlichen hört aufmerksam zu. Immer wieder dröhnen ein paar Salven herüber von der benachbarten Kaserne. Dorthin gehen die Jugendlichen als Nächstes, wenn sie diesen Schnellkurs durchlaufen haben, und dort wird zu Übungszwecken auch ein paar Mal scharf gefeuert.
"Zu Gaddafis Zeiten mussten sich die Jugendlichen zwangsweise einem militärischem Training unterziehen", erzählt ein älterer Mann namens Mustafa, der an diesem Morgen ebenfalls in die Kaserne gekommen ist. Alle hätten versucht sich zu drücken und ärztliche Atteste beigebracht. "Schau sie dir an, jetzt kommen sie zu Hunderten freiwillig an, um ihre Stadt zu verteidigen", sagt er begeistert.
Mohammed sieht recht verwegen aus mit seiner Camouflage-Uniform und dem locker um die Schulter geworfenen Patronengürtel, den er bei der Befreiung Bengasis in einer der Kasernen erbeutet hat. Er habe am Morgen im Fernsehen von der Gegenoffensive gehört, erzählt Mohammed. Da sei er sofort hierhergekommen. "Jeder, der eine Waffe hat, sollte jetzt nach Brega gehen oder sich in einem der Verteidigungsringe rund um Bengasi einteilen lassen, fordert er. "Und wenn wir mit denen in Brega fertig sind, dann marschieren wir weiter durch die von Gaddafi kontrollierte Syrte bis nach Tripolis", sagt er. "Sie haben vielleicht bessere Waffen, aber wir haben Gott und unseren Mut in unserem Herzen", sagt er.
"Wir werden Gaddafi nie wieder nach Bengasi zurücklassen, eher sterben wir", fährt Mohammed fort. Ein anderer Jugendlicher schiebt sich vor, mit einer Kefije um den Hals gebunden und einer revolutionär drapierten Baskenmütze. "Bengasi wurde nicht von irgendwelchen Soldaten befreit, sondern von uns Jugendlichen", sagt er stolz und berichtet von der Schlacht um die "Katiba", die Kaserne von Gaddafis Eliteeinheit im Zentrum der Stadt vor mehr als einer Woche. "Gaddafis Truppen waren stark, aber wir haben sie besiegt mit unseren eigenen Methoden." Um seine Aussage zu unterstreichen, holt er ein Päckchen Dynamit aus der Tasche. "Das wirkt Wunder", grinst er.
Nebenan feuert schon wieder das auf einen Lkw montierte Flugabwehrgeschütz. Es ist die Abschiedssalve. Das erste zwei Dutzend Jugendlicher sitzt auf der Ladefläche. Langsam kommt das Gefährt auf dem Kasernentor heraus und reiht sich draußen in den Verkehr ein. Alle Autos hupen, um die Jugendlichen auf dem Weg in die umkämpften Gebiete anzufeuern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist