Aufstand der Senioren: Pegida auf Koreanisch
Südkoreas konservative Rentner machen auf dem Rathausplatz in Seoul mobil. Für sie ist der Skandal um Präsidentin Park ein Medienkomplott.
D er Seouler Rathausplatz hat neue Bewohner. Sie hausen in einem kreisförmigen Zeltlager, sind fast alle Rentner und scheinen trotz der Minusgrade eine gute Zeit zu haben. Trottmusik läuft aus Lautsprecherboxen, es gibt warmen Pulverkaffee, über dem Camp weht eine riesige Südkorea-Flagge. Ein Mann in Camouflage-Uniform, mit dunkler Schirmmütze und verspiegelter Pilotenbrille dreht seine Runden, als würde er patrouillieren.
„Wir sind hier, um unsere Präsidentin zu schützen“, sagt ein Herr mit Daunenjacke und Fellmütze im Russenstil. Seit Monaten dominiert Südkoreas konservative Präsidenten Park Geun-hye und der Skandal um ihre ominöse Jugendfreundin sowie Bestechungsgelder in Millionenhöhe die Gespräche in Seoul. Dann wurde sie suspendiert – und die meisten Südkoreaner waren erleichtert. Bis sich die Stimme der Senioren erhob.
Südkorea leidet unter der größten Altersarmut in der OECD, gleichzeitig altert die Gesellschaft rapide. Viele Senioren fühlen sich abgehängt. Sie opferten ihre Arbeitskraft für den jetzigen Wohlstand. Sie wünschen sich eine Zeit zurück, als die Zukunft noch Fortschritt versprach. Park stillt dieses Bedürfnis – wegen ihres Vaters.
„Er hat uns aus der Armut geholt“, sagt einer der Zeltbewohner. „Er ist der Vater unserer Nation“, wirft ein anderer ein. Park Chung-hee regierte das Land in den 60er und 70er Jahren, unterdrückte Gewerkschafter und Oppositionelle und legte den Grundstein für das Wirtschaftswachstum. 1979 wurde er von seinem Bodyguard ermordet. Seinetwegen wählten viele Senioren 30 Jahre später seine Tochter Park Geun-hye ins Amt.
Selbstbild: gallisches Dorf
Die Park-Loyalisten sehen sich nun als gallisches Dorf umgeben von kommunistischen Verschwörern in Form der einstigen Studentenbewegung, die heute in Schlüsselpositionen von Politik und Medien säßen und, angestiftet von nordkoreanischen Spionen, Chaos über das Land brächten. Sie sehen sich als Patrioten im Kampf gegen die Nordkoreanisierung des Abendlands. Einige fordern sogar das Kriegsrecht.
Ein Coach fürs Liebesleben, einer für den Erfolg, einer für schwere Entscheidungen – unsere Gesellschaft ist gecoachter denn je. Arno Frank prüft das Selbstoptimierungswesen in der taz.am wochenende vom 11./12. Februar. Außerdem: Permakultur hat es in die Supermärkte geschafft. Neue Hoffnung für die Bio-Landwirtschaft? Und: Am Sonntag wird der neue Bundespräsident gewählt. Mit dabei: Erika Maier, die lange in der SED war und die DDR mit aufgebaut hat. Sie ist die Mutter von taz-Autorin Anja Maier. Ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter über Marxismus, Mut und das Jetzt und Hier. Das alles am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Weil das abstrus scheint, ignorierte die Öffentlichkeit die Demonstranten zunächst. Rückblickend keine gute Idee: Letzten Samstag füllten die Park-Anhänger den riesigen Rathausplatz, mehr als 30.000 Senioren schwenkten Südkorea-Flaggen und stimmten Volkslieder an. „Traut den koreanischen Medien nicht, sie verbreiten nur Lügen!“, prangte es auf ihren Plakaten. Journalisten wurden als „Giraegi“ beschimpft, ein koreanisches Wortspiel aus Reporter und Müll. „Kaum jemand von uns liest noch Zeitung. Wir haben unsere eigenen Medien“, sagt ein Demonstrant.
Auch das ist Südkorea: über 70-Jährige, die YouTube-Channels und soziale Netzwerke betreiben.
Die suspendierte Präsidentin weiß die Situation zu nutzen: Während sie sonst Medienanfragen ablehnt, gab sie einem YouTube-Kanal ein 59-minütiges Interview und stilisierte sich zum Opfer. Der Interviewer nickte unterwürfig. Im Vorgespräch soll Park gedroht haben: Wenn das Verfassungsgericht ihre Amtsenthebung zurückweist, bekämen es „die Medien mit der Stärke des Volkes zu tun“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!