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■ Aufregung um das parlamentarische Gedenken an den MauerfallDer Bundestag greift zur Maurerkelle

Zwanzig Minuten Kohl, zwanzig Minuten Schröder. Dazu je zehn von Michail Gorbatschow und George Bush. Was soll die ganze Aufregung? Die Rednerliste, die sich das Parlament für seine Gedenkstunde des Mauerfalls ausgedacht hat, ist nur konsequent. Stilfragen und Symbolik waren noch nie Stärke der Bundesrepublik.

Nicht immer allerdings sind die Folgen so verheerend wie in diesem Fall. Fakt ist: Zweieinhalb Redner sind bei dieser Veranstaltung völlig fehl am Platz. Buchstäblich nichts haben Schröder oder Bush zum Fall der Mauer beigetragen. Kohl immerhin hat sich erhebliche Verdienste bei der staatlichen Einheit der Deutschen erworben. Dieser wird aber am 3. Oktober gedacht. Dass er als Einheitskanzler in die Geschichte eingeht, verdankt Kohl jenen Ostdeutschen, die zuerst ihre Angst und dann die Mauer überwanden. Die müssten statt Kohl ein Rederecht bekommen. Als sie unter Gefahr für mehr Demokratie stritten, versicherte Kohl dem Staatsratsvorsitzenden Krenz telefonisch noch, am Status quo nicht rütteln zu wollen.

Der Erfolg der ostdeutschen Demokratiebewegung ist beispiellos in der deutschen Geschichte. Zur parlamentarischen Feierstunde eingeladen ist sie nicht. Ein geradezu grotesk undemokratisches Gedenken des Sieges der Demokratie über die Diktatur. Aber auch das ist nicht der Aufregung wert. Die Deutschen taten sich schon immer schwer, sich mit eigener Geschichte auseinanderzusetzen. Die Redeliste liefert einen weiteren Beleg dafür.

Mehr noch: Die Liste spiegelt gesellschaftliche Realität. Der Osten Deutschlands hat weder Stimme noch Lobby. Weder versteht die politische Elite die geprügelte Ostseele, noch bemüht sie sich wenigstens darum. Dass das unabhängig von ihrer Herkunft ist, zeigen Wolfgang Thierse und Petra Bläss. Der Vorzeige-Ossi der SPD ist Vorsitzender des Ältestenrates des Parlaments, die PDS-Frau seine Stellvertreterin. Genau dieser Ältestenrat legte die Redner fest.

Die Liste eignet sich deshalb nicht, den Westdeutschen zu unterstellen, sie würden mal wieder die Kelle rauskramen, um auf die Mauer in den Köpfen ein bisschen was draufzupacken. Das macht diesmal der Bundestag – das Gremium, das alle Deutschen zu vertreten beauftragt ist. Nick Reimer

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