piwik no script img

Aufregung um Silvester-KrawalleBloß keine Pauschalverdächtigungen!

Gastkommentar von Maiyra Chaudhry

Nach den Krawallen der Silvesternacht bedienen Rechte wieder gezielt die alten Reflexe vom bösen Migranten. Damit dürfen sie nicht durchkommen.

Feuerwehrmänner löschen eine brennende Barrikade aus Mülltonnen und Mietrollern in Berlin-Neukölln Foto: Christian Mang

D eutschland feierte nach zwei Jahren coronabedingter Einschränkungen ausgelassen ins neue Jahr. Für Polizei und Rettungskräfte beginnt das Jahr mit einem Kraftakt. Neben Schwerverletzten, brennenden Autos, Wohnungen und Müllcontainern wurden in mehreren Stadtteilen Berlins Rettungsfahrzeuge durch Pyrotechnik beschädigt, Einsatzkräfte mit Eisenstangen und Steinen attackiert.

Laut Polizei sind die Verdächtigen alle wieder auf freiem Fuß und die vorliegenden Zahlen sind immer noch als vorläufig anzusehen. Insgesamt seien 145 Täter mit 18 verschiedene Nationalitäten erfasst worden. 45 der Verdächtigen hätten die deutsche Staatsangehörigkeit, 27 hätten die afghanische Nationalität und 21 seien Syrer. Ursprünglich war die Zahl der Festgenommenen mit 159 angegeben worden. Es habe Doppelzählungen gegeben, sagte der Polizeisprecher. Nancy Faeser fordert zu Recht harte Strafen für die „Chaoten und Gewalttäter“. Rechte Kreise dagegen haben, noch bevor Details zu den Randalierenden bekannt wurden, die aus ihrer Sicht wahren Schuldigen festgenagelt: „Die Migranten“. Ras­sis­t*in­nen im Netz diskutieren nicht über ein mögliches Böllerverbot, sondern nutzen die Ereignisse zum Jahreswechsel, um rassistische Hetze voranzutreiben.

Die Stimmungsmache folgt dem alt bekannten Muster. So twittert der Journalist Julian Reichelt: „Wir brauchen keine Debatte über Feuerwerk, sondern über Migration und Verachtung für unseren Staat.“. Es folgen Nutzerkommentare wie: „Nennen Sie die Täter, es waren respektlose Migranten.“ oder: „Böller weiterhin erlauben, Ausländer abschieben“. Das Fehlverhalten in der Silvesternacht aktiviert das Schema eines „gewalttätigen Fremden“, der nicht ist wie „Wir“, wie der gut bürgerliche typische „Deutsche“. Schuld an dem Chaos auf den Straßen Deutschlands seien die gewalttätigen jungen Migrant*innen. Während Folgen der Silvesternacht wie Umweltverschmutzung, Mensch- und Tierqual ins Abseits fallen, dominieren die Themen „Migration“ und „Integration“ schneller als gedacht wieder die Agenda.

Die Verantwortlichen der Silvester-Angriffe auf Rettungs- und Einsatzkräfte müssen definitiv zur Rechenschaft gezogen werden. Alle Mi­gran­t*in­nen unter Generalverdacht zu stellen und die vorherrschende Gewalt zu ethnisieren, ist keine Lösung des Problems. Diese aktiviert, auch wenn es im Unterbewusstsein erfolgt, das Stereotyp des „gewalttätigen Fremden“ und schürt Angst in der Gesellschaft gegenüber allen, die „fremd“ erscheinen. Mögliche Ansätze wären, das ursprüngliche Problem der Gewalt und den Einsatz von Feuerwerkskörpern zu hinterfragen, statt rassistische Narrative unbedacht zu befeuern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen