■ Die NPD befahl, die Szene folgte ihr: Etwa 5.000 Rechtsextreme marschierten am Samstag in München für den guten Ruf der Wehrmacht. Tausende Gegendemonstranten suchten die Konfrontation. Aber die Polizei konnte die Randale verhindern.: Aufm
Die NPD befahl, die Szene folgte ihr: Etwa 5.000 Rechtsextreme marschierten am Samstag in München für den guten Ruf
der Wehrmacht. Tausende Gegendemonstranten suchten die Konfrontation. Aber die Polizei konnte die Randale verhindern.
Aufmarsch für Opas weiße Weste
Der Jakobsplatz wirkt an diesem Samstag kurz vor zwölf noch recht verlassen. Absperrgitter formen eine Art Freigehege, in dem sich die rechten Demonstranten vor ihrem Marsch durch die Münchner Altstadt sammeln sollen. Ein erster Blick aus sicherer Distanz auf die Menschen, die dem Aufruf der NPD und ihrer Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ gefolgt sind, zeigt: Es sind nur wenige der zornigen alten Männer darunter, die in den ersten Tagen nach der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung am letzten Montag protestiert haben. Statt dessen zum größten Teil Skinheads, zwischen 15 und 25 Jahre alt. Und wieder fehlt die Generation dazwischen: Kaum einer ist zwischen 40 und 60.
Am Einlaß in den merkwürdigen Generationenzoo kontrollieren Dutzende Polizisten. Metalldetektoren fiepen, Taschen von Bomberjacken und Jeans werden abgetastet; selbst ihre Springerstiefel müssen die Skins anfangs ausziehen und durchsuchen lassen — eine Maßnahme, die die Polizei allerdings zwei Stunden später aufgibt, als ein Reisebus nach dem anderen die rechten Demonstranten anliefert und ihre Zahl auf gut 5.000 steigt.
Der Schritt nach drinnen vermittelt ein seltsames Gefühl. Denn in diesem Freigehege schlendert man plötzlich neben Menschen herum, die im adretten, freundlichen, wohlhabenden München sonst kaum anzutreffen sind: Skinheads mit martialischem Gesichtsausdruck, mit strammen Begrüßungszeremonien und dem männlich-eckigen Gang, der Härte signalisieren soll. Viele von ihnen halten sich an den Befehl, den die NPD im Internet ausgegeben hat und jetzt per Durchsage wiederholt: „Gegenüber der Presse besteht ein absolutes Interview- und Auskunftsverbot.“
Manche wagen trotzdem ein Gespräch. Ein höchstens 18jähriger Skin, der sich eine schwarzweißrote Fahne um den Oberkörper gewickelt hat, versucht zu erklären, warum ihn ausgerechnet das Thema Wehrmacht zum Protest treibt. „Ich will nicht, daß mein Großvater als Verbrecher bezeichnet wird“, wiederholt er die in den letzten Tagen immer wieder strapazierte Begründung. Ob er denn wisse, was sein Opa im Krieg getan und erlebt hat? „Nein, darüber hab' ich mit ihm nicht gesprochen“, antwortet er in sächsischem Dialekt und wendet sich schnell ab, um irgendwo am Eingang ein paar Bekannte zu begrüßen. Vielleicht ahnt er in diesem Moment, daß seinem Großvater sein Protest ziemlich egal wäre.
Bei einer Gruppe von fünf Kahlköpfen hören wir es wieder, das Stereotyp von der „Verunglimpfung der Vorfahren“. Doch nur einer sagt, sein Opa habe mit ihm über den Krieg geredet, er sei also stellvertretend da. „Ich kann doch meinen alten Opa nicht herbringen.“ Die anderen vier nicken bestätigend, sie scheinen den Großvater zu kennen und zu bewundern. Was in den vier anderen Familien über den Krieg erzählt wurde? „Nichts“, antworten sie mit einem Kopfschütteln und ziehen ab.
Einer allerdings, ein dürrer 18jähriger, bleibt stehen und redet weiter, während neben uns ein Bomberjackenträger aus der Riege von „Odins Erben“ in aller Ruhe durch ein Absperrgitter pinkelt. Der junge Skin erzählt, daß er sich seit zwei Jahren mit Geschichte beschäftigt, daß er die Wehrmacht als Organisation bewundert. Und nun wirkt er, der vor wenigen Minuten noch so martialisch aussah, wie ein Junge, der gerade die Pubertät hinter sich hat: Schlaksige Gesten, ein unsicheres Lächeln, das immer dann dankbar wird, wenn er das Gefühl hat, daß ihm irgendwer zuhört und nicht nur auf seine Pickel glotzt.
Eine Minute danach gesellt sich ein Mann mittleren Alters zu uns, Jahrgang 42, wie er sagt. An seiner Hand glänzt ein goldener Siegelring mit Hakenkreuz. „Den trage ich nur zu besonderen Anlässen“, erklärt er und beginnt seinen Redestrom: daß sein Vater eine Parteinummer unter tausend gehabt habe und trotzdem fast im KZ Dachau gelandet sei, daß er einen sechs Meter langen Teppich aus den Räumen des Führers besitze, der jetzt in Kommission bei einem Teppichhaus liege, weil er ihn zu Hause nicht ausrollen kann. Der junge Skinhead verstummt – neben einer solchen Spezies wirkt er plötzlich harmlos, sprachlos, ja fast ein wenig sympathisch.
Um 14.30 Uhr soll der Demonstrationszug den Jakobsplatz verlassen, und zwar „diszipliniert“, wie ein NPD-Vertreter per Lautsprecher soeben verkündet. „Von uns darf keine Gewalt ausgehen“, schreit er, und neben mir murmelt ein Skinhead: „Das kann man nicht garantieren.“ Als der Zug das Freigehege verläßt, werden die unsicheren, pickligen Jungs wieder zu einer beängstigenden Meute. „Hier marschiert der nationale Widerstand“, brüllt es durch die engen Straßen der Altstadt, und die wenigen Rentner wirken gelegentlich leicht irritiert von soviel Lautstärke. Mitzuschreien wagt keiner der älteren Herren, bei manchen hat man den Eindruck, daß sie nur die Lippen bewegen, wie sie es sonntags in der Kirche tun.
Im „Tal“, einer Straße, die zum Marienplatz führt, stoppt die Polizei die rechten Demonstranten. Zwar haben sie die Genehmigung, bis vors Rathaus zu ziehen. Doch dort warten mittlerweile mehrere tausend Gegendemonstranten. Die Polizei will die direkte Konfrontation vermeiden und hält den Marsch an — was der NPD natürlich nicht paßt. „Kameraden, wir sind auf dem besten Wege in einen Unrechtsstaat“, schreit einer vom Lautsprecherwagen herunter. Doch wie dem spärlichen Applaus zu entnehmen ist, scheint das Thema der Rechtsstaatlichkeit hier keinen besonders zu bewegen.
Viel interessanter ist dagegen die Frage, die keiner der NPD- Funktionäre laut stellt: Wann beginnt endlich die Randale? Denn hinter dem Lautsprecherwagen, hinter einigen Reihen Polizei hat sich im „Tal“ inzwischen eine lautstarke Gegendemo formiert, deren „Nazis raus“-Rufe immer wieder herüberwehen und den heisergebrüllten NPD-Redner übertönen. „Wir kriegen euch alle“, brüllen die Nazis zurück, und einige Male scheint die Straßenschlacht tatsächlich bevorzustehen. Elektrisiert stehen die Skins in diesen Sekunden da, einige rennen Richtung Gegendemo, wollen die Polizeiketten durchbrechen. Ihre Gesichter sind in diesen Momenten nur noch Fratzen, und man ahnt, daß diese Leute gnadenlos auf andere einprügeln können.
Sekunden später zeigt sich, daß die Polizei die beiden Gruppen auseinanderhalten kann. Und die Sprechchöre der Gegendemonstranten vermitteln so etwas wie Erleichterung – ohne sie wäre die Szenerie mit 5.000 Nazis in der Münchner Altstadt noch gespenstischer, als sie ohnehin schon ist.
Nachdem sich um etwa 17 Uhr abzeichnet, daß trotz Steinen, Flaschen und Obst aus dem linken Lager eine Randale kaum möglich ist, lassen sich die Neonazis „diszipliniert“ von ihren Reisebussen abholen. Eine Stunde später sind nur noch die Gegendemonstranten in der Münchner City, die jetzt ihren Gegner verloren haben und Rangeleien mit der Polizei beginnen. Flaschen, Knallkörper, Orangen und Tomaten fliegen, am Ende sind fünf Polizisten verletzt, zwei Demonstranten stürzen von Bäumen herunter. Um 19 Uhr ist das Spektakel vorüber, die Polizei löst ihre Barrieren auf. Zurück bleiben ein paar tausend linke Flugblätter in der einen Hälfte, ein paar tausend rechte Flugblätter in der anderen Hälfte der Straße. Felix Berth, München
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