Aufgehobener Ausbürgerungsbescheid: Doch kein Salafist

Die Stadt Hildesheim wollte Ahmed R. ausbürgern, weil sie ihn für einen Salafisten hielt. Vor Gericht zog die Stadt den Bescheid dann zurück.

Polizeibeamte gehen am 8.11.2016 in Hildesheim an der DIK-Moschee "Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e.V." vorbei.

Bis 2014 war Ahmed R. im Vorstand des „Deutschsprachigen Islamkreises“, 2016 kam die Polizei Foto: dpa / Julian Stratenschulte

HILDESHEIM taz | Der Vorwurf wiegt schwer. Ahmed R. soll die radikalislamische salafistische Bewegung unterstützt haben und daher seine deutsche Staatsbürgerschaft verlieren. Bei seiner Einbürgerung 2014 hatte R. ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung unterschrieben. Diese Erklärung zweifelt die Stadt Hildesheim mittlerweile an und hat die Einbürgerung per Bescheid zurückgenommen. Vor dem Verwaltungsgericht Hannover setzte sich R. nun mit seinem Anwalt erfolgreich gegen seine Ausbürgerung zur Wehr.

Ahmed R. wurde in Deutschland geboren, war dann aber nach Tunesien ausgewandert. Nach der 6. Klasse kehrte er nach Deutschland zurück und besuchte die Hauptschule. Vor Gericht erzählte R., wie er zuerst die Ayasofoa-Moschee in Hildesheim besuchte, dann aber im Streit zusammen mit anderen Jugendlichen die Gemeinde verließ. Gemeinsam gründeten sie in einer Lagerhalle in einem Hinterhof einen neuen Moscheeverein – den Verein Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim.

Von 2011 bis 2014 war R. als Jugendsprecher im Vorstand des Vereins, zu dem eine Moschee in der Hildesheimer Nordstadt gehörte. R. gab Nachhilfe und organisierte Sportangebote für Jugendliche, hatte als Vorstandsmitglied aber auch ein Mitspracherecht, wenn über die Freitagspredigten entschieden wurde. Der Verein galt als ein Hotspot der radikalen Salafistenszene und wurde 2017 vom niedersächsischen Innenministerium verboten.

Ab 2012 predigte in der Moschee auch Abu Walaa, der mutmaßliche Deutschland-Chef der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Neben ihm sollen andere Prediger der Salafistenszene wie Sven Lau, Pierre Vogel und Abul Baraa in der Moschee Seminare abgehalten und gepredigt haben, berichten zwei Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Verfassungsschutzes im Prozess.

Auch der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, hatte sich 2016 in der Moschee aufgehalten

Auch der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, hatte sich 2016 in der Moschee aufgehalten. Besucher sollen in konspirativer Art und Weise indoktriniert und radikalisiert worden sein, um sie dazu zu bewegen, in Kriegsgebiete auszureisen und dort für den IS zu kämpfen. Die ersten Personen aus dem Umfeld des Vereins waren 2014 nach Syrien und in den Irak ausgereist.

R. sagte, Abu Walaa habe eine fesselnde Stimme gehabt und gut aus dem Koran rezitieren können. Er sei Anfangs ab und an zu Besuch gewesen. Prediger wie Pierre Vogel seien damals wie Rapper gewesen. „Wenn man wollte, dass eine Moschee voll wird, hat man die eingeladen“, sagte R. vor Gericht. Abu Walaa ist Anfang 2021 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Terrorismusfinanzierung und Beihilfe zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Haftstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Im Prozess merkte der Verteidiger an, dass die Behörde den Ausbürgerungsbescheid erlassen habe, ohne R. anzuhören. Vor Gericht galt es zu klären, ob R. bereits bei seiner Einbürgerung von den radikalen Tendenzen innerhalb der Moschee wusste. Ein Verfassungsschützer versuchte dies mit Aussagen aus mehreren Predigten des Jahres 2013 zu belegen. Muslime seien als fremd, isoliert und in der Gesellschaft unterdrückt dargestellt worden. Der IS habe als Vorbild gegolten, wie man sich in dieser Defensivposition wehren und zurückschlagen könne.

Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand besuchte R. unregelmäßig die Moschee. Mittlerweile hatte er seine Hochschulreife nachgeholt und ein Studium in einer anderen Stadt begonnen.

R. berichtete von einer Versammlung, bei der Abu Walaa aus der Moschee geworfen wurde. Er habe damals dafür gestimmt, Abu Walaa sei aber nach wenigen Wochen zurückgekehrt. R. versicherte: „Ich war nie und bin auch heute kein Anhänger des Salafismus.“ Er versuche heute, Moscheen komplett zu meiden, denn er habe Angst, wieder in eine radikale Moschee zu gehen.

Ein Zeuge schilderte, es sei für ihn ein Schock gewesen, dass Ahmed R. als Unterstützer beschuldigt wird. Ab 2015 habe es in der Moschee viele Hasspredigten und -botschaften gegeben. Abu Walaas Strategie sei nicht von Anfang an offensiv gewesen. „Der hat erst mal versucht, Herzen zu gewinnen“, berichtete der Zeuge.

Siebenstündige Verhandlung

Mit der Abstimmung gegen Abu Walaa hätten die Beteiligten ihr Leben in Gefahr gebracht. Es habe sich eine Gruppe gebildet, die Abu Walaa nicht das Feld überlassen wollte und sich ihm wie eine Mauer entgegengestellte. Zu der Gruppe soll auch Ahmed R. gehört haben. „Wir wollten unseren Kindern den richtigen Islam vermitteln und dann kamen die aus dem Nichts und haben Unruhe gestiftet und all unsere Träume kaputt gemacht“, berichtete der Zeuge.

Nachdem das Gericht die beiden Zeugen ausführlich befragt hatte, erklärte eine Vertreterin der Stadt Hildesheim, sie werde den Bescheid aufheben. Offenbar waren auch ihr erhebliche Zweifel an R.s angeblichen salafistischen Gesinnung gekommen.

Nach der rund siebenstündigen Verhandlung war Ahmed R. sichtlich erleichtert, als die Richterin die Aufhebung des Bescheids in ihr Diktiergerät protokollierte. Er ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken und fragte die Richterin: „Ist das jetzt vorbei?“ Die Richterin nickte ihm zustimmend zu.

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