Auffanglager in Tunesien: Der Premier im Zangengriff

In Tunesien demonstrieren Tausende: gegen aus dem Irak oder Syrien zurückkehrende Dschihadisten und Auffanglager für Flüchtlinge.

Tunesiens Premierminister Youssef Chahed vor der Nationalflagge

Merkel setzt auf den tunesischen Premier Youssef Chahed Foto: dpa

BERLIN taz | Während in Deutschland seit dem Anschlag des Tunesiers Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt über schnellere, effektivere Abschiebungen nach Tunesien debattiert wird, demonstrieren dort Tausende gegen die Gefahr durch Rückkehrer und gegen Auffanglager im Land.

Entsprechend hoch ist der innenpolitische Druck auf Premier Youssef Chahed bei seinem Deutschlandbesuch: Er muss einerseits zeigen, dass „Tunesien sich nicht ausverkaufen lässt“, um den sozialen Frieden im Land nicht zu bedrohen. Und andererseits die finanzielle und logistische Unterstützung der Bundesrepublik würdigen, die in der Entwicklungszusammenarbeit einer der wichtigsten Partner Tunesiens ist.

Nach UN-Schätzungen kämpfen derzeit über 5.000 Tunesier in extremistischen Gruppen, vor allem im Irak und in Syrien. Bislang seien 800 tunesische Dschihadisten in ihre Heimat zurückgekehrt, teilte das tunesischen Innenministerium mit, sie würden überwacht. Auch die tunesischen Sicherheitsdienste reagierten auf die Debatte.

Die Gewerkschaft der Inlandsgeheimdienste warnte bereits in einer Erklärung, es drohe die massenhafte Rückkehr von kampferprobten Dschihadisten nach Tunesien. In Syrien oder Libyen hätten die Extremisten eine militärische Ausbildung erhalten und könnten hochentwickelte Kriegswaffen bedienen. Zurück zu Hause könnten sie Schläferzellen bilden. „Wenn die Regierung den Terrorismus nicht mit „außergewöhnlichen Maßnahmen“ bekämpfe, drohe Tunesien zu einem neuen Somalia zu werden.

Amnesty International sieht derweil die Demokratie in Tunesien durch die Sicherheitskräfte gefährdet. Die griffen verstärkt auf brutale Methoden aus der Zeit vor dem Sturz von Diktator Ben Ali 2011, zurück, moniert die Menschenrechtsorganisation. Dazu zählten Folter, unrechtmäßige Verhaftungen und Hausdurchsuchungen sowie das Drangsalieren der Familien von Verdächtigten.

Folter und Misshandlungen

Der Bericht zählt 23 Fälle von Folter und Misshandlung seit Januar 2015 auf. Betroffene hatten Amnesty berichtet, sie seien über Stunden gefesselt und mit Stöcken und Gummischläuchen geschlagen worden. Zwei Männer gaben an, sie seien sexuell misshandelt worden. Zudem kritisiert Amnesty, Tunesiens Behörden hätten lokale und internationale Reiseverbote gegen mindestens 5.000 Personen ausgesprochen. Zahl und Ausmaß seien „unangemessen“.

Nach UN-Schätzungen kämpfen 5.000 Tunesier in extremistischen Gruppen

Der Terrorismus hat Tunesien nachhaltig destabilisiert, ökonomisch und innenpolitisch. Geht es nach Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière, sollen dort nun auch Flüchtlinge, die auf dem Meer abgefangen werden, in Lagern untergebracht werden. Pro Asyl warnt vor der Schaffung solcher Lager: Dadurch würde das individuelle Recht auf Asyl in der EU weiter untergraben, erklärte die Menschenrechtsorganisation. Schutzsuchenden bliebe der Zugang zum Asylverfahren auf europäischem Boden verwehrt.

„Was die Kanzlerin ‚Auffanglager‘ nennt, wird für die meisten die Endstation sein“, kritisierte Pro Asyl. Tunesien verfüge über kein funktionierendes Asylsystem. Ein rechtsstaatliches Verfahren, in dem die individuellen Fluchtgründe gewürdigt und negative Behördenentscheidungen von ordentlichen Gerichten überprüft werden, gebe es nicht. Hinzu käme der Rassismus gegen Schwarze und andere Minderheiten in Tunesien.

Angesichts der zahllosen Konflikte in Nordafrika und der arabischen Welt will gilt Tunesien als „Hoffnungsprojekt“, wie Kanzlerin Merkel es ausdrückte. Ein Teil diese Hoffnung ist der 40-jährige Premier Chahed. Ob er ein starker Verhandlungspartner ist, muss sich noch zeigen.

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