Aufarbeitung von Grünen-Parteitagschaos: Schluss mit der „Flügelscheiße“
Parteigröße Renate Künast fordert Umdenken bei den Berliner Grünen. Die neue Landeschefin Nina Stahr hält Flügel nicht grundsätzlich für schlecht.
Künast, nach wie vor Bundestagsabgeordnete, äußerte sich am Dienstagabend bei einem öffentlichen Treffen ihrer Grünen-Bezirksgruppe Tempelhof-Schöneberg zur Aufarbeitung des Parteitagsdesasters. Aus diesem Bezirk kommt auch die bei der Landesvorstandswahl gescheiterte Bewerberin Tanja Prinz.
Die Grünen hatten Prinz am 9. Dezember bei ihrem Landesparteitag drei Mal durchfallen lassen und den Parteitag samt Wahl daraufhin abgebrochen. Prinz hatte sich zuvor im November bei einer Vorabstimmung des Realo-Flügels gegen die amtierende Co-Landesvorsitzende Susanne Mertens durchgesetzt und ging davon aus, dass der Parteitag dieses Votum akzeptieren würde. Nach inoffizieller Quotierung – offiziell ist lediglich ein Frauenplatz festgeschrieben – steht den Parteilinken wie den Realos in der Doppelspitze des Landesverbands je ein Posten zu.
Bei der Fortsetzung des Parteitags am 13. Dezember wurde die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr zur neuen Co-Vorsitzenden des im Amt bestätigten Philmon Ghirmai vom linken Flügel gewählt. Stahr war bereits von 2016 bis 2021 Parteichefin und koordinierte in den vergangenen Jahren die Realos im rund 12.500 Mitglieder starken Landesverband.
Landeschefin: Flügel gibt es in jeder größeren Gruppe
Die alte und neue Landesvorsitzende äußerte sich zurückhaltend zu Künasts Forderung nach einem Ende der „Flügelscheiße“. „In jeder größeren Gruppe, sei es in einer Partei, einem Sportverein oder einer Kirchengemeinde, gibt es Untergruppen – und bei uns heißen die eben Flügel“, sagte Stahr am Mittwoch der taz. Bloß dürften die eben nicht inhaltliche Diskussionen dominieren, sondern müssten eine untergeordnete Rolle spielen. Im Berliner Landesverband gelinge das: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Flügel bei uns gleichwohl gut zusammenarbeiten.“ Aus Stahrs Sicht ist die im Dezember gescheiterte Wahl von Tanja Prinz nicht Ausdruck eines Flügelstreits.
Als Beispiel für die schädliche Wirkung von Flügeldebatten nannte Künast am Dienstagabend die zwischen Parteilinken und Realos seit vielen Jahren umstrittene Frage, ob das Gymnasium als Schulform zu erhalten oder abzuschaffen sei. Aus Künasts Sicht spielt das im Leben außerhalb der Partei kaum eine Rolle – da interessiere stattdessen, in welchem Zustand die Schule ist, ob es genug Lehrkräfte gibt oder ob das Mensaessen schmeckt.
Künast verwies dazu auf andere Landesverbände und ihre Bundestagsfraktion, wo das Lagerdenken weit weniger ausgeprägt ist. Auch die Brandenburger Grünen kommen ohne Links-rechts-Gezerre aus. „Wir haben keine Flügelkämpfe wie die Berliner Grünen“, sagte Landtagsfraktionschef Benjamin Raschke jüngst der taz. In Potsdam ist durchaus Kopfschütteln angesichts des Zoffs nur 25 Kilometer Luftlinie entfernt wahrzunehmen. Früher im Berliner Landesverband aktive Grüne, die in die Brandenburger Landespolitik wechselten, sprachen der taz gegenüber wiederholt von einer weit entspannteren Atmosphäre.
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