„Euthanasie“ anerkennen

Die Grünen haben einen Antrag für die Anerkennung von „Euthanasie“-Opfern in der NS-Zeit gestellt

Ungefähr 300.000 Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen wurden während der NS-Zeit ermordet. Zu diesen „Euthanasie“-Opfern kommen noch 400.000 Menschen hinzu, die in Krankenhäusern und Psychiatrien zwangssterilisiert wurden. Wirklich anerkannt sind diese Opfer auch heute noch nicht, das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 schließt die Opfer von „Euthanasie“ und Zwangssterilisation weiter aus. Die grüne Bundestagsfraktion will das nun ändern und hat einen entsprechenden Antrag im Bundestag gestellt und das Thema am Montag bei einem Onlinefachgespräch diskutiert.

Ein Gesetz, das die „Euthanasie“ von Behinderten und psychisch Kranken zur Pflicht machte, gab es übrigens nicht. Die Ärz­t:in­nen bewegten sich weitgehend im rechtsfreien Raum, konnten sich jedoch auf das 1934 in Kraft getretene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ berufen. „Erst 2007 wurde es vom Deutschen Bundestag geächtet, für nichtig erklärt wurde es bis heute nicht“, sagt Erhard Grundl, kulturpolitischer Sprecher der Grünen.

Obwohl Hunderte von Betroffenen von ihren Erlebnissen in den Psychiatrien erzählten, sei ihnen oft nicht geglaubt worden. Das sagt Ulrika Mientus, die über die Zwangssterilisierten und „Euthanasie“-Geschädigten promoviert. Nachdem Betroffene ihre aus der Behandlung resultierenden Folgeleiden schilderten, seien von Ärz­t:in­nen mitunter Gutachten erstellt worden, die die beschriebenen Leiden als unwahrscheinlich darstellten. Zwangssterilisation von geistig Behinderten galt lange nicht als NS-Verbrechen, vielen Ju­ris­t:in­nen und Ärz­t:in­nen sei der Schritt in den 30er und 40er Jahren rechtens vorgekommen. Die „Euthanasie“ markiere einen Umschlagpunkt zwischen der Verfolgung und der Vernichtung von Personengruppen, sagt Winfried Süß, Leiter der Abteilung „Regime des Sozialen“ am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung.

Dass das Vernichten von Krankenakten Methode hatte, erläutert Gerhard Schneider. Schneider ist Direktor des Bezirksklinikums Mainkofen und hat die Geschichte des Krankenhauses gründlich erforscht. Bereits 1945 habe man angefangen, Krankenakten zu bereinigen. Meist wurden die Gewichtstabellen entfernt, um zu vertuschen, dass Pa­ti­en­t:in­nen systematisch verhungern gelassen wurden, sagt er. 1982 erst wurde die Vernichtung aller Akten, die Sterilisationsverfahren bezeugen, beschlossen. Ab 1990 sei die Vernichtung aller Akten bis 1945 geplant worden, ein großer Teil davon konnte jedoch in den Kellerräumen der Kirche versteckt werden, sagt Schneider.

Die Grünen setzen sich daher für ein Kassationsverbot ein, das die Vernichtung von Dokumenten untersagt. Die Akten nur zu erhalten reiche jedoch nicht, man müsse sie auch zu deuten wissen, meint Sibylle von Tiedemann von der Gedenkinitiative NS-„Euthanasie“-Aufarbeitung. Oft sei Angehörigen mitgeteilt worden, Verwandte seien an einer Lungenentzündung gestorben. Das könne auch stimmen, nur sei die Lungenentzündung eben durch überdosierte Medikamente künstlich herbeigeführt worden. Julia Hubernagel