Die ÖVP und ihr Korruptionsproblem

Österreichs Parlament untersucht Vorwürfe von Vetternwirtschaft, Postenschacher, Umfragefälschungen und gekaufter Berichterstattung unter Exbundeskanzler Kurz

Der Populist Sebastian Kurz inszenierte sich jahrelang als Saubermann Foto: Alex Halada/imago

Aus Wien Ralf Leonhard

Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) steht unter Korruptionsverdacht. Dem geht ab Mittwoch ein parlamentarischer „Untersuchungsausschuss zu mutmaßlicher Korruption durch ÖVP-Vertreter“ nach. Die politische Aufarbeitung der Ära des am 11. Oktober zurückgetretenen Bundeskanzlers Sebastian Kurz beginnt mit der Befragung des jetzigen Bundeskanzlers Karl Nehammer. Auf seine Antworten auf konkrete Fragen kann man gespannt sein, denn bisher hat er konsequent beteuert, seine Partei habe kein Korruptionsproblem.

Worum geht es konkret? Zum einen um Vetternwirtschaft. Eine Anzahl von auf Handys von Verdächtigen sichergestellten SMS- und Whatsapp-Chats dokumentiert, dass die ÖVP ihre Leute weit über den landesüblichen Nepotismus hinaus in Schlüsselpositionen platziert hat, selbst dann, wenn sich mangels Qualifikation gar keiner beworben hatte.

Besonders hohe Wellen schlug der Fall der Richterin Eva Marek, die 2014 vom damaligen ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter gedrängt wurde, sich um den Chefposten der Oberstaatsanwaltschaft zu bewerben, um zwei SPÖ-nahe Kandidatinnen zu verhindern. Da Marek die Position als Abstieg in ihrer Karriere verstand, wurde ihr für später die Leitung der Generalprokuratur zugesagt. Besonders krass ist der parteipolitische Postenschacher aber im Innenministerium, wo man ohne ÖVP-Stallgeruch praktisch keine Karriere machen kann.

Des Weiteren wird untersucht, welche Personen aus dem Umfeld des Exaußenministers und Bundeskanzlers Kurz an der Beauftragung manipulierter Meinungsumfragen beteiligt waren. Die Demoskopin Sabine Beinschab, die eine Anzahl von Umfragen und Studien für die ÖVP über das Finanzministerium abrechnen durfte, hat ein umfassendes Geständnis abgelegt, dessen Inhalt vor wenigen Tagen bekannt wurde. Dabei gab sie an, die damalige Familienministerin Sophie Karmasin, einst ihre Chefin, habe 20 Prozent ihrer Honorare für die Fake-Studien kassiert. Im Rückblick habe sie sich schon gewundert, so Beinschab, dass offensichtlich parteipolitisch motivierte Umfragen vom Finanzministerium bezahlt worden seien.

Dort herrschte damals der inzwischen berühmte Thomas Schmid als Generalsekretär. Der Kurz-Intimus, so legen es die Chats nahe, war eine Schaltstelle für den generalstabsmäßig geplanten Aufstieg von Kurz zum ÖVP-Chef und Bundeskanzler. Schmids beschlagnahmtes Handy, auf dem die Ermittler über 300.000 gelöschte Chat-Nachrichten wiederherstellen konnten, ist die wichtigste Quelle für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die auch gegen Kurz strafrechtlich ermittelt. In Zusammenhang damit stehen die systematischen Behinderungen der Justiz durch Funktionäre der ÖVP.

Die Abgeordneten im U-Ausschuss rechnen mit weiteren Sabotageaktionen der ÖVP. Hatten die Verantwortlichen im Ibiza-U-Ausschuss des vergangenen Jahres noch die Herausgabe von Dokumenten gezielt verzögert, so setzt man diesmal auf die gegenteilige Strategie: Der Ausschuss wird mit Akten überflutet. Das geht bis zu minutiösen Aufstellungen der Beschaffung von Kreide und Klopapier für Schulen. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der laut Gesetz den Vorsitz führen kann, aber nicht muss, sieht keinen Anlass, sich für befangen zu erklären, obwohl er selbst in den Chats als Mittelsperson für politische Einflussnahme vorkommt. Im Ibiza-Ausschuss hatte seine parteiische Vorsitzführung ständig für Empörung gesorgt.

Ob Kurz als einer der Hauptbelasteten dem U-Ausschuss die Ehre geben wird, ist noch unsicher. Er verlegt gerade seinen Wohnsitz nach Kalifornien, wo er beim Trump-Fan und Risikokapitalinvestor Peter Thiel als „Global Strategist“ angeheuert hat. Nur Personen mit Wohnsitz im Inland können zwangsweise vorgeführt werden.