Auf den Spuren der Einwanderer: Jenseits skurriler Folklore
Die Braunschweiger Fotografin Birte Hennig reiste in die USA, um dort nach Einflüssen deutscher Einwanderer zu suchen.
![](https://taz.de/picture/702813/14/amendo_Birte-Hennig_Los-Angeles_Kalifornien_2014.jpg)
Hält man sich dies angesichts der derzeitigen Flüchtlingszahlen vor Augen, beeindruckt nicht nur die kontinuierliche Integrationsleistung der US-amerikanischen Gesellschaft, ihrer Politik und der Infrastruktur. Interessant ist auch, ob und wie die kulturellen Differenzen aufgenommen wurden und was heute noch an Einflüssen und Traditionen deutschstämmiger Prägung im US-Alltag wirksam ist. Die Braunschweiger Fotografin Birte Hennig wollte genau das wissen.
Spuren hinterlassen
Hennig war Ende 2014 für zwei Monate in den USA unterwegs, um dort den Spuren deutscher Einwanderer nachzugehen. Hatte sie 2012 in dem kleinen Ort Baumholder bei Kaiserslautern, einer ehemaligen US-Militärbasis, noch die Reste einer amerikanisierten Alltagskultur in der deutschen Provinz ins Visier genommen, wagte sie nun die experimentelle Umkehr des Blicks.
Ihrer USA-Reise ging eine lange Vorbereitung voraus, sie knüpfte ein enges Netz aus Kontakten und lokalen Anlaufpunkten zwischen New York und Los Angeles und das strukturierte ihre Reiseroute. Außerdem folgte Hennig einer biografischen Fährte: Ein Großonkel, gelernter Automechaniker, war 1926 in den Osten der USA gegangen, eröffnete nach der Heirat mit einer österreichischen Migrantin ein Geschäft in Los Angeles.
Zwei historische Porträts ihrer Verwandten und Bilder ihrer Wohnorte sind die persönliche Klammer in der aktuellen Ausstellung Hennigs, die im Braunschweiger Museum für Photographie zu sehen ist.
Am Beginn von Hennigs Reise steht die Steubenparade in New York. Sie wird seit 1957 jedes Jahr am dritten Septembersamstag begangen, ein karnevalistischer, deutschtümelnder Umzug. Namensgeber ist der preußische Ex-Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben, der als General unter George Washington zum Helden des Unabhängigkeitskrieges gegen die britischen Kolonialherren wurde und somit eine nationale Identifikationsfigur ist.
Die Parade trägt sympathisch schräge Züge, auch, weil die Leitkultur die bayerische ist. Die Lederhose für Männer, für Frauen das Dirndl sind das bevorzugte Outfit manch Feiernder. Eine Vereinigung pflegt das Plattdeutsch in Brooklyn, eine andere die deutsche Dogge, zwei Trabis fahren mit. Birte Hennig destillierte daraus fein ironische Porträts und situative Momente, die von der Toleranz und Assimilationsbereitschaft der Beteiligten erzählen.
Roulade und Tanz
Selbst einer Hardcore-Veranstaltung wie dem deutschen Abend in der German American Society in Omaha, Nebraska, haftet nicht arg so viel Dumpfbackiges an, wie es bei Heimattagen von Vertriebenenbünden in Deutschland gern der Fall ist. 600 Teilnehmer treffen sich dann in Nebraska – übrigens Braunschweigs Partnerstadt – zu Roulade, Rotkohl und deutschem Bier, danach geht es wieder bayerisch zu beim Tanz.
Die versierteren Akteure werden schon mal zum Münchener Oktoberfest eingeladen und repräsentieren vor einem internationalen Publikum, eine Variante deutscher Volkskultur.
Ein bleiernes Reinheitsgebot authentischen Deutschtums scheint also über Generationen abgeschliffen, die amerikanisch-deutsche Melange ist eine gelebte, nicht-normative Realkultur hinter skurriler Folklore. Am beeindruckendsten, erzählt Birte Hennig, sei das gemeinsame Singen der US-Nationalhymne am Ende der Veranstaltung gewesen.
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