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Auf den Spuren Pier Paolo PasolinisEin Strand wie eine Festungsanlage

Vor über sechzig Jahren fuhr der Regisseur Pasolini die italienische Küste ab. Filmemacher Pepe Danquart tut es ihm gleich in „Vor mir der Süden“.

Am italienischen Strand in „Vor mir der Süden“ Foto: Neue Visionen

Es gibt kaum einen schöneren Zeitvertreib als den Blick zurück auf frühere Zeiten. Fast zu schnell stellt sich dabei eine gewisse Überheblichkeit ein, nur weil man weiß, wie es inzwischen weiterging. Wo früher pittoreske Urlaubsorte entdeckt wurden, mit wunderbaren Sandstränden und dem besten Eis der Küste, ragen heute gesichtslose Hotelbauten in die Höhe, wird der Sand künstlich aufgeschüttet und pedantisch aufgeteilt in vermietbare Einheiten. Überall das gleiche Lied, so auch in Italien.

Was über der Nostalgie nach den vermeintlich guten alten Zeiten meist übersehen wird, ist die Tatsache, dass auch das idyllische Früher eine Vergangenheit hatte. Und in den Augen so mancher Zeitgenossen eine verheerende Entwicklung darstellte.

Diesem Grundfehler der Wahrnehmung arbeitet Pepe Danquart in seinem Filmessay „Vor mir der Süden“ von vornherein entgegen, indem er sich bei seiner Italienreise auf die Spuren eines der schärfsten Gegenwartskritiker von damals begibt. Für eine Reportage über Italien als Land im Übergang fuhr Pier Paolo Pasolini im Sommer 1959 den Stiefel ab, immer entlang der Küste, von Venti­miglia im Nordwesten bis nach Sizilien, über Taranto dann auf der Ostseite wieder nach Norden bis nach Triest.

Die Zeitschrift Successo veröffentlichte die Reportage in drei Teilen unter dem Titel „La lunga strada di sabbia“ („Die lange Straße aus Sand“) noch im gleichen Sommer. Pepe Danquart konfrontiert Pasolinis Beschreibungen nun mit der Gegenwart, 60 Jahre später.

Danquart fügt eigene Beobachtungen hinzu

Wobei das Verb „konfrontiert“ nur einen kleinen Aspekt von dem trifft, was Danquart hier gelingt. Tatsächlich bringt der deutsche Regisseur, zu dessen bekanntestem Werk der Dokumentarfilm „Höllentour“ über die Tour de France gehört, Pasolinis kritische Gedanken von damals mit Bildern und Aufnahmen von Heute regelrecht ins Schwingen.

Denn Danquart folgt nicht einfach Pasolini, um sich am Kontrast der Zeiten zu ergötzen, sondern seine dokumentarischen Bilder behaupten sich durch eigenen Beobachtungen. Bevor er Pasolinis Spur in Ventimiglia aufnimmt, filmt Danquart an der Adria-Küste in Jesolo: ein Retorten-Badeort, der aus dem Geist des Wirtschaftswundertourismus geboren wurde und an dem die deutschen Urlaubsmassen auf ihre eigene Weise „mitschuldig“ sind.

Der Film

„Vor mir der Süden“. Regie: Pepe Danquart. Deutschland 2020, 117 Min.

Danquart stellt in diesem „Vorwort“ gleich auch seine Methodik vor: Die Kamera, gern auch aus der Drohnen-Perspektive, nimmt Landschaft, Bauten und Bevölkerung in den Blick, um zwischendurch innezuhalten und in längeren Einstellungen diverse Menschen zu Wort kommen zu lassen, mal einzeln als Individuen, mal chorisch in der Gruppe. Sie sprechen von der Geschichte des Ortes, vom Urlaubsversprechen von einst, vom künstlichen Sand, der teuer zu besorgen sei, sich aber als Goldmine erweise.

Wenn sich die Kamera dann im Überflug von Jesolo verabschiedet, deutet sich an, was Danquart auf Pasolini gebracht haben mag: nicht die vordergründige, ästhetische Kritik an der Hässlichkeit von Urlaubern und den eventuellen Bausünden der Tourismusindustrie, sondern die Entdeckung einer fast unheimlichen Vereinheitlichung und Normierung der Einzelnen und ihres Erlebens. Aus der Höhe betrachtet gleicht der Strand mit seinen normierten Sonnenschirm-Parzellen im immer gleichen Muster eher einer Festungsanlage als einem Urlaubsort.

Gleichschaltung der Gesellschaft durch Konsumismus

Das war eine der kritischen Überlegungen, die Pasolini in seinen Gegenwartsanalysen umtrieb: Dass der Konsumismus, der sich auch in Italien mit dem Wirtschaftsboom in den fünfziger Jahren durchsetzte, in Wirklichkeit ein Projekt vollende, an dem der Faschismus noch gescheitert sei, nämlich der völligen Gleichschaltung der Gesellschaft, des Auslöschens von Individualität und je eigener Geschichte.

Aus dem Off lässt Danquart Ulrich Tukur Passagen aus Pasolinis Werk vorlesen. An wenigen Stellen fügt er seinen Reisebildern von heute Archivmaterial hinzu; manchmal rahmt er die neuen Aufnahmen in ein imitiertes Postkartenformat. Die erhellenden Punkte, die ihm dabei immer wieder gelingen, sind meistens atmosphärischer Art: Man sieht mit den Augen Pasolinis, aber zugleich auch mit denen Danquarts. Die Bilder erhalten so eine Perspektive, die sogar noch weiter in die Vergangenheit reicht.

Pasolini beklagte das Verschwinden des Besonderen, Speziellen, Widerständigen, das sich bei den Armen, Marginalisierten und Entrechteten länger bewahrt als in der homogenisierten Mittelklasse; Danquart greift die Überlegung auf und widerlegt sie auf progressive Weise. Wie ein roter Faden nämlich zieht sich das Thema der Flüchtenden und Migranten aus Afrika durch den Film.

Es beschäftigt alle, die Hotelbesitzerin genauso wie den Hafenarbeiter oder Barbetreiber. Dankquart lässt auch einzelne Migranten selbst zu Wort kommen – und hier zeigt sich, dass sie doch noch zu finden ist, die nichtkonsumistische, hochindividuelle Sicht auf diese Welt.

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