: Auf Proteste in Belgrad wird es nun ankommen
■ Größte Schwäche von Serbiens Opposition ist Uneinigkeit. Armee-General Pavkovic will nicht gegen Demonstranten vorgehen
Proteste gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic sind in Serbien inzwischen alltäglich geworden. Auch am Samstag wieder forderten Oppositionelle seinen Rücktritt. Ein Neuaufbau des Landes sei mit dem derzeitigen Regime praktisch unmöglich, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Vertretern aus 24 oppositionsgeführten Städten.
Man demonstriert, man gibt kritische, ja mutige Erklärungen ab; Demokratie wird gefordert, freie Medien und Marktwirtschaft in Serbien, bessere Beziehungen zu Montenegro und immer wieder der Rücktritt von Miloševic. Die serbischen Oppositionsführer wissen, dass die Unzufriedenheit und der Missmut der Bürger noch nie so groß waren, sie wissen, dass sie noch nie eine bessere Chance gehabt haben, das Regime Miloševic zu stürzen. Doch wie sie den Wechsel genau zu Wege bringen sollen, das wissen sie anscheinend immer noch nicht.
Immerhin ist die politische Szene in Serbien übersichtlich geworden. Auf der einen Seite stehen die regierenden Parteien: die Miloševic-Sozialisten (SPS) und die „Vereinigte Linke“ (JUL) von Miloševic' Gattin Mira Markovic. Beide Parteien diffamieren jeden, der sie zum Rücktritt auffordert, als „Verräter“ und „verlängerten Armder Nato“, kurz, als die „fünfte Kolonne“. Die Regierenden sind fern der Einsicht, dass sie diesen „unmoralischen“ Menschen, die da gegen sie protestieren, die Macht übergeben sollten. Sie kontrollieren den Staatsrundfunk, eine ganze Reihe von Printmedien, die Polizei- und Armeespitze.
Die Armee würde auch den „unbedeutendsten Funktionär“, und erst recht den Präsidenten und die Institutionen des Staates gegen all jene beschützen, erklärte der Kommandant der dritten, bis vor kurzem im Kosovo stationierten Armee, General Nebojsa Pavkovic. Das Heer würde nur legal ausgeschriebene Wahlen akzeptieren. Doch er erklärte gleichzeitig gestern in einem Interview, dass das Militär nicht gewaltsam gegen Demonstranten vorgehen werde. „Die Armee wird nicht Panzer gegen Leute einsetzen, die sich auf der Straße für vorgezogene Neuwahlen aussprechen“, sagte er.
Irgendwo zwischen den Fronten befindet sich die ultranationalistische „Radikale Partei Serbiens“ (SRS), die nach dem Einzug der Nato-Truppen in den Kosovo die Regierungskoalition mit SPS und JUL verlassen hat. Ihr geschickter Führer, Vojislav Šešelj, kritisiert alles und jeden, beobachtet ruhig, wie sich Regime und Opposition zerrupfen und lauert auf seine Chance.
Auf der anderen Seite der Kampflinie befinden sich die „Allianz für den Wandel“ und die „Allianz demokratischer Parteien“, die gemeinsam auftreten, um die sich über dreißig kleinere Parteien versammeln und die Zoran Djindjic, den Vorsitzenden der „Demokratischen Partei“ (DS) als ihren bekanntesten Vertreter vorweisen können.
Auch Vuk Draškovic mit seiner „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO) befindet sich, nachdem er sich erfolglos als jugoslawischer Vizepremier versucht hat, wieder einmal unter jenen, die gegen das Regime kämpfen. Doch gerade der temperamentvolle monarchistische Wirrkopf, der noch 1991 die Demonstranten in Belgrad gegen die Miloševic-Polizei kommandiert hat, ist jetzt viel gemässigter und kompromissbereiter, als sein ehemaliger Verbündeter Zoran Djindjic. Und gerade die Animosität zwischen den beiden ist eine der größten Schwächen der serbischen Opposition.
Während Djindjic mit der Verhaftung all jener droht, die „seit einem Jahrzehnt Serbien ins Unglück treiben und plündern“, fordert Draškovic lediglich den sofortigen Rücktritt jener Politiker, gegen die das Tribunal in Den Haag Anklage wegen Kriegsverbrechen im Kosovo erhoben hat, weil Serbien, solange sie an der Macht sind, international isoliert bleiben und unter Wirtschaftssanktionen leiden würde. Beide schlagen die Gründung einer Übergangsregierung vor, die freie, demokratische Wahlen nach den Prinzipien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ausschreiben sollte. Doch während die Allianzen durch Massenproteste auf den Straßen Serbiens das Regime zu Fall bringen wollen, ist Draškovic eher für einen Dialog mit dem Regime, das auch in der Übergangsregierung vertreten sein sollte.
Draškovic will den jetzigen Machthabern einen Ausweg bieten, damit sie nicht für das nackte Leben bis zum bitteren Ende kämpfen müssen, und so ein Blutvergießen, einen Bürgerkrieg in Serbien vermeiden. Die Entschlossenheit des Kriegsverbrechertribunals, Miloševic anzuklagen und ihm so keinen Fluchtweg ins Ausland zu lassen, vergrößert das Risiko eines Blutbades in Serbien jedoch.
Während Draškovic wohl davon ausgeht, dass das schwer angeschlagene Machtsystem Miloševic' allmählich auseinanderfallen wird, dass es gefährlich wäre, den jugoslawischen Präsidenten voreilig zum Rücktritt zwingen zu wollen, glaubt Djindjic, dass sich die jetzige Machtgarnitur nie freiwillig zurückzieht und dass Serbien buchstäblich täglich immer tiefer in den Abrund des wirtschaflichen und sozialen Ruins gezogen wird.
Doch was wird die Opposition tun, wenn es wahr ist, was einige Analytiker vor Ort behaupten und zwar, dass es Miloševic und seiner Gattin nicht einmal im Traum einfällt, irgend jemanden die Macht zu übergeben? Wird dann ein Oppositionsführer die moralische Verantwortung dafür übernehmen, das unbewaffnete Volk in den Kampf gegen regimetreue Spezialeinheiten zu schicken? Was würde geschehen, wenn sich Miloševic entscheidet, die „gesetzwidrigen“ Massenproteste in der serbischen Provinz mit Gewalt zu verbieten?
Derzeit verhält sich Miloševic ruhig und wartet geduldig ab. Der Druck auf der Straße ist nicht allzu stark und könnte mit der Zeit sogar abschwächen. Alle warten auf die „große“ Massenkundgebung in Belgrad, die Djindjic für den 17. August angesagt hat. Wenn 100.000 oder mehr Menschen in der jugoslawischen Hauptstadt demonstrieren, dann könnte es ernst werden. Wenn sich in Belgrad aber lediglich einige tausend oder weniger dem Protest gegen das Regime anschließen – dann hat die serbische Opposition auch diesmal den Kürzeren gezogen.
Andrej Ivanji, Belgrad
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