Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Faschistisch abhängen
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Teil 4: Schule.
Helmut Höge kommt um ungefähr exakt zehn Sekunden vor fünf die taz-Treppen hochgelaufen, während ich die Treppen runterlaufe. Wir treffen uns auf halber Treppe. Um ungefähr exakt fünf Uhr sitzen wir zwischen dem fünften und sechsten Stock auf dem Besetzersofa mit den abgestoßenen Armlehnen und den etwas verblassten Baummustern.
Etwas später kommt Helmut Höges derzeit persönlicher Praktikant. Ich glaube, er heißt Stefan. Ich müsste das mal nachrecherchieren. Er hat jedenfalls ein Wernher-von-Braun-Gymnasium besucht, was nun bald nicht mehr so heißen soll, was aber alles erst im Laufe des Gesprächs herauskommt.
Was habt ihr denn diesmal, fragt Helmut Höge.
Diesmal haben wir: Schule. Ein bisschen auch: Neukölln, Bildung, Gentrifizierung.
Helmut Höge, taz-Autor, taz-Aushilfshausmeister und der einzige Mensch, der jeden Tag im Anzug in der taz erscheint, öffnet seinen Tabakbeutel und leckt Blättchen zusammen. Er nimmt meinen Block zum Drehen.
Was passiert, wenn Bionade-Eltern und Kopftuchmütter eine Schule retten wollen? Das allerdings nicht immer gemeinsam. Wie der Wunsch nach Integration wirklich Wirklichkeit wird, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Februar 2014 . Außerdem: Was macht einen Pädophilen aus? Ein Interview mit dem Sexualwissenschaftler Peer Briken. Und: Wie die Westukraine gegen die Machthaber in Kiew kämpft. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Wobei ihm einfällt: Gerade hat er einen Text von Wladimir Kaminer redigiert, in dem der darüber schreibt, dass sein Sohn in der Schule einen Aufsatz über Freiheit schreiben sollte. Das habe Kaminer selbst in der Sowjetunion auch immer tun müssen. „Wahrscheinlich wird das auch noch ideologisch benotet“, sagt Helmut Höge. „Wenn du schreibst 'Ich bin für totale Unfreiheit' kriegste gleich ne Sechs.“
Ich versuche mir den Satz zu merken. Ich habe ja gerade nichts zu schreiben.
"Glücklicherweise nicht gezwungen, das anders zu sehen"
Helmut Höge ging in Bremen zur Schule, 52, 53, muss das gewesen sein. Eingeschult so mit fünf. „Ich fand das alles schrecklich und meine Eltern haben mich glücklicherweise nicht gezwungen, das anders zu sehen.“
Den sollte ich mir auch noch merken vielleicht.
Damals jedenfalls wollte seine Lehrerin in der ersten Klasse ihn umerziehen, zum Rechtshänder. Da haben seine Eltern dafür gesorgt, dass er die Klasse wechselt. Er war dann nicht mehr 1a, sondern 1b. Oder 1c.
Er hat fertig gedreht und gibt mir den Block zurück.
Im Zuge der Reeducation sei das aber auch mit der Umerziehung alles ein wenig weniger streng geregelt worden im Nachkriegsdeutschland, weil man da plötzlich erfuhr, dass es in den USA soundsoviele Linkshänder gibt. Einfach so. Helmut Höge durfte Linkshänder bleiben.
Er erinnert sich an einen Biologielehrer, der kam immer im weißen Kittel. War auch schon albern. Gar nicht in irgendeinem Kabinett oder im Labor, sondern im normalen Klassenzimmer. Weißer Kittel. Mit Herzen Botaniker war der. Er hat mit den Schülern ein Herbarium angelegt, das fand Helmut gut. Er war schon immer sehr für Biologie. Er dachte ja, er würde mal Biologie studieren. Und immer schon viele Tierbücher.
Manchmal hat der Biologielehrer einen grauen Kittel über den weißen gezogen, wohl damit er den weißen Plastikkittel nicht schmutzig macht. Der weiße Plastikkittel war wohl Privatbesitz und der graue gehörte der Schule. Irgendwie so.
Kinder auf der Straße
„Wir hatten ja noch Lehrmittelfreiheit“, sagt Helmut Höge. Bücher, Stifte, Hefte, gab es alles in der Schule, man konnte so viel nehmen, wie man brauchte, und man nahm eher immer noch ein bisschen mehr. „Ich hatte ganz viele angefangene Hefte.“ Wenn zum Beispiel die Hausaufgaben irgendwie nicht so waren. „Da hat man die Blödigkeit überspielt mit einem neuen Heft.“
Aber sonst, alles schrecklich. Die Lehrer.
Wir schweifen dann etwas vom Thema ab und es geht um Autos und Straßen und Kinder, die erst noch auf der Straße waren und dann nicht mehr. Als Helmut in Hessen war, da kam manchmal eines dieser neuen amerikanischen Autos, Cabriolet, in den Ort gefahren und die ganze Produktion stand still. Alle guckten.
Mitte der 60er muss das gewesen sein.
Seinen Praktikanten Stefan, der seine Doktorarbeit über etwas Suizidales bei Fontane geschrieben hat, hat er übrigens irgendwann einmal über die Auseinandersetzung mit Gert Postel kennengelernt, dem psychiatrischen Oberarzt, der mal ein Postbote gewesen war und seine Zeugnisse selbst gemacht hatte.
Wie waren wir jetzt darauf gekommen?
Das sei jetzt vielleicht etwas Off-Topic, sagt der Praktikant, aber die Suizidforschung habe gezeigt, dass Suizidopfer oft eine glückliche Kindheit hatten. „Viel Liebe mit hoher Kontrolle“, sagt der Praktikant, der möglicherweise Stefan heißt.
Wie waren wir jetzt darauf gekommen? Ach ja, Helmut Höge hatte erzählt, dass ihn zwei Frauen manchmal nerven, weil sie gar zu kinderverhätschelnd seien.
Gab es denn irgendeinen Unterricht, der Helmut gefallen hat, damals?
„Sportunterricht ging noch“, sagt Helmut Höge.
Sie hatten einen ehemaligen SS-Boxlehrer. „Wenn wir an den Ringen nicht faschistisch genug hingen, dann hat er uns die Springseile über die Beine gezogen.“ Damals haben sich noch keine Eltern über so was beschwert.
Häng dich ma anständig hin, sagte der ehemalige SS-Boxlehrer.
Faschistisch?
„Naja“, sagt Helmut Höge, „ganz gerade und alles im rechten Winkel. Also: Kopfstand an den Ringen im Hitlergrußwinkel.“
Überhaupt war das alles sehr Ordnung und Sauberkeit damals und Disziplin. „Das war so fast das A und O damals. 90 Prozent Selbstdisziplinierungen. Richtig sitzen, zuhören.“
Wird ja heute immer weniger. Die Russen beispielsweise finden, dass es hier mittlerweile fast zu wenig ist, sagt er. In Pankow etwa.
Er hat ganz gute Verbindungen nach Pankow zurzeit, weil seine Freundin da wohnt.
Manchmal schickt man Fotografinnen in eine Schule, um den Unterricht zu fotografieren und die Fotografin wundert sich, dass es da gar keinen Unterricht gibt.
Also nicht mehr so, wie sie Unterricht kannte. Mit sitzen, auf die Tafel schauen und sich melden.
„Die machen ja heute ständig irgendwelche Workshops“, sagt Helmut Höge. Oder Rollenspiele. „Oder bemalen Cartons bunt und stülpen sie sich über den Kopf.“
Wir lachen jetzt häufiger.
Jagen mit Schiller
Helmut Höge hatte auch mal ganz gute Verbindungen nach Steglitz, als seine damalige Freundin da wohnte. Er ist dabei auf eine Schülerzeitung gestoßen. „Spätlese“. Fand er gut. Er hat ihnen angeboten, das in der taz zu drucken, als Beilage. Mitte der Neunziger muss das gewesen sein. Sie haben das dann über Werbung finanziert und weil die Unternehmen das mit den jungen Leuten so toll fanden, war plötzlich lauter Werbung für Unternehmen da drin, die die jungen Leute wiederum gar nicht toll fanden. Riesige Werbeerlöse. Ein paar tausend Mark.
Sie sind dann danach mit den Schülerzeitungsleuten im Sale e Tabacci, im Italiener, der damals noch die taz-Kantine war, essen gegangen. Knapp 1.000 Mark. Langer Abend. Neunhundertirgendwas, sagt Helmut Höge.
Er hat sich wohl dafür zu interessieren begonnen, für diese Schülerzeitungen, als das mit den Jungs aufkam, „dass die Jungs so luschig werden und die Mädels so durchstarten, dass die nicht in die Hufe kommen. Immer nur Club und Drogen und Kiffen, sagen wir mal.“ Während die Mädchen sich für so vieles interessieren.
Wie war das bei ihm mit Literatur? In der Schule? Hat er sich dafür interessiert?
Die Klassiker natürlich. Schiller. Goethe. Glocke. Faust.
„Konntste mich damit jagen“, sagt Helmut Hoege. Faust heute dagegen, ganz andere Sache.
Eines fällt ihm noch ein. Sie waren ja an der Weser damals, in Bremen. Und es gab dieses Buch mit den zwei Kindern, die auf Fässern ins Meer hineintreiben. In die gefährliche Nordsee. Daran erinnert er sich noch. Er weiß nur nicht mehr, wie das Buch heißt. Aber es war sehr einprägsam. Er hatte dann immer Respekt vor dem Meer, vor der Tiefe.
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