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Audiowalk über jüdisches LebenVom letzten Weg

Berlin-Moabit wird zum Museum an der frischen Luft. Ein Audiowalk vermittelt eindrücklich Geschichte und Einzelschicksale jüdischen Lebens.

In Berlin-Moabit können Interessierte dank Audiowalk über jüdische Geschichte lernen Illustration: Jeong Hwa Min

BERLIN taz | Horst Selbiger war damals 17 Jahre jung. Er erinnert sich gut an den kalten Samstag im Februar 1943: „Wir wurden mit rund 1.500 bis 2.000 Juden in die ehemalige Synagoge Levetzowstraße eingeliefert. Als wir dort von der SS sehr unsanft von den Lkw ausgeladen wurden, standen Frauen auf der Straße und klatschten Beifall.“ Diese Erinnerung werden für alle Interessierten im eindrücklichen Audiowalk „Ihr letzter Weg“ hörbar, wenn sie in Berlin-Moabit an der Kreuzung Levetzowstraße/Ecke Jagowstraße stehen bleiben und play auf ihrem Handy drücken.

Der Audiowalk führt auf Moabiter Straßen der Gegenwart in die dunkelste deutsche Vergangenheit: Von der zum Sammellager umfunktionierten Synagoge mussten die Gefangenen in Fußmärschen auch am helllichten Tage durch die Straßen zum Güterbahnhof marschieren. Von dort wurden sie in die Gettos und Vernichtungslager deportiert.

Seit 2020 ist der Audiowalk kostenlos im Netz zu hören und seit kurzer Zeit durch Hörstationen auch auf den Straßen zu sehen. Sie sind an den Masten angebracht, die neben Parkscheinautomaten stehen. Ein gelb-schwarzer Aufkleber mit der Aufschrift „Audiowalk – Ihr letzter Weg“ weist darauf hin. Auf Knopfdruck ertönt eine Erzählerstimme. An diesen Hör­stationen braucht es also keine Kopfhörer und kein Handy mehr, um den Geschichten zu lauschen. Der Verein Sie waren Nachbarn stieß vor drei Jahren die Idee an, den Audiowalk nicht nur zum Download bereitzustellen, sondern als Hör­stationen zu installieren.

Thomas Schöndorfer vom Verein Sie waren Nachbarn erläutert, dass durch die Hörstationen alle Pas­san­t:in­nen angesprochen werden. „Wenn sie neugierig sind, drücken sie auf den Knopf und fangen an zu hören. Entweder es spricht sie an, oder sie gehen weg. Wir hoffen natürlich, dass es sie anspricht.“ Der Verein hat namhafte Spre­che­r:in­nen engagiert: Den Sänger Reinhard Mey, die Autorin Lea Streisand und rbb-Reporter Arndt Breitfeld.

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Mit neuer Akustik gegen alten Hass

An diesem Frühsommertag in Berlin-Moabit scheint die Sonne auf die Kreuzung an der Levetzowstraße/Ecke Jagowstraße, die Platanen tragen schon dichtes Laub und dort, wo einst eine der größten Synagogen Berlins stand, spielen Kinder und Jugendliche Fußball und Tischtennis. Auf den ersten Blick erinnert hier nicht mehr viel an die Verbrechen der Nazis. Vorne an der Straßenecke allerdings stehen hinter dem Bür­ge­r:in­nen­steig zwei grüne Parkbänke vor einer roten Klinkermauer. Ein paar achtlos zurückgelassene Pizzakartons liegen daneben.

Auf einmal sind in der Mauer Haken zu sehen – wofür sind die wohl da? Und schon erzählt einem Arndt Breitfeld, dass die Haken zum Anbringen von Gedenkkränzen gedacht sind und eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge erinnert.

Etwa 50 Meter entfernt von hier steht das „Mahnmal Levetzowstraße“, das 1988 eingeweiht wurde. Neben einer in den Himmel ragenden Eisenwand, in die die Daten der 63 Deportationen aus Moabit gestanzt sind, steht ein Güter­wagon mit stilisierten Gefangenen.

„Überqueren Sie bitte die Levetzowstraße und laufen dann auf der Jagowstraße auf der rechten Seite bis zur Hausnummer 13“, leitet uns die Stimme aus den Kopfhörern des Audiowalks. Es geht um Einzelschicksale und Berichte von Betroffenen, die in die historischen Ereignisse eingebettet werden. Klezmer-Musik des Klarinettisten Thorsten Müller rahmt die Audiobeiträge und schafft eine wehmütige Stimmung.

Schü­le­r:in­nen der Hedwig-Dohm-Oberschule aus Moabit haben an den Hörstationen ­mitgearbeitet, gebohrt und gelötet

Nach dem Audiowalk machen sich Thomas Schöndorfer und Otto Kückman, auch Mitglied des Vereins, auf zu einer Hörstation, die ausnahmsweise nicht auf der Route des Audiowalks liegt. Neben dem Studierendenwohnheim im Hansaviertel stand nämlich eine zweite Synagoge, zu der auch eine Hörstation aufgestellt werden soll. Auf dem Weg holt Kückman eine Malerleiter und sie überqueren die Spree über den Wullenwebersteg. Am Parkscheinautomat angekommen, fängt Kückman mit dem Anbringen des Aufklebers am Mast an. Das kleine Photovoltaikpanel für die Stromzufuhr, der Lautsprecher und der Knopf zum Abspielen des Audiobeitrags sind schon fertig. Schü­le­r:in­nen der Hedwig-Dohm-Oberschule aus Moabit haben an den Hörstationen ­mitgearbeitet, gebohrt und gelötet.

Auf die Frage, ob so ein Parkscheinautomat ein angemessener Ort zum Gedenken und zur Mahnung sei, erklären die beiden Ehrenamtlichen, dass es ein guter Kompromiss mit dem Bezirksamt sei. Die historischen Gaslaternen seien tabu und durch die Nutzung der bestehenden Masten seien die Kosten für den Verein zu stemmen.

Thomas Schöndorfer erklärt der taz schließlich, warum er sich für das Erinnern an die jüdische Geschichte einsetzt: „Weil es wichtig ist“, sagt er und kommt auf das berühmte Zitat des Schriftstellers und ­Auschwitz-Überlebenden Primo Levi zu sprechen: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Schöndorfer sagt auf heute bezogen: „Das nimmt wieder Fahrt auf! Antisemitismus und Judenhass ist nichts, was nur noch an den Rändern passiert. Das ist mitten in der Gesellschaft.“

Die nächste Idee des Vereins ist, sich an Moabiter Schulen zu wenden, um jungen Menschen diesen Teil der Geschichte ihres Bezirks zu erzählen. Damit es nie wieder geschieht, dass Menschen Beifall klatschend am Straßenrand stehen, wenn ihre Nach­ba­r:in­nen deportiert werden.

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