Attacke auf Deutsche Welle bei Ramallah: Sender im Steinhagel
Im Westjordanland greifen radikale israelische Siedler zwei Journalist*innen der Deutschen Welle an – kein Einzelfall in den besetzten Gebieten.

Die beiden Journalist*innen der Deutschen Welle waren laut dem Sender nach Sindschil gefahren, nördlich von Ramallah, um über einen geplanten Protest gegen israelische Siedlergewalt zu berichten. Am Ende soll ebendiese Gewalt sie persönlich getroffen haben – der jüngste Vorfall einer langen Chronik der Gewalt im palästinensischen Westjordanland, die seit dem 7. Oktober 2023 zunimmt.
Am Freitag sollen eine Korrespondentin aus dem Jerusalemer Büro des Senders und ein Kameramann dort mit großen Steinen beworfen und verfolgt worden sein. Beide seien mit Pressewesten klar als Journalist*innen zu erkennen gewesen sein, so die Deutsche Welle in einem Statement. Sie hätten sich unverletzt in Sicherheit bringen können, doch das Auto des Kameramanns sei stark beschädigt worden, ein Fenster sei zersplittert, das Blech verbeult worden. Auch weitere Journalist*innen internationaler Medien wie AFP, New York Times oder Washington Post seien anwesend gewesen und hätten unter einem Steinhagel fliehen müssen.
Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle, fordert: „Die israelische Regierung muss die Sicherheit aller Journalistinnen und Journalisten im Westjordanland gewährleisten. Die Pressefreiheit – und damit die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten – ist die unverzichtbare Säule jeder Demokratie.“ Auch Mika Beuster, Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, verurteilte den Vorfall scharf: „Es kann nicht sein, dass radikale Siedler ungestraft Jagd auf Medienschaffende machen. Das darf nicht ohne Folgen bleiben.“ Auf der Social-Media-Plattform X schrieb Steffen Seibert, der deutsche Botschafter in Israel: „Die Pressefreiheit und die Sicherheit von Journalisten müssen gewährleistet sein. Angesichts der zunehmenden extremistischen Siedlergewalt ist ihre Arbeit unerlässlich.“
Seit dem 7. Oktober 2023, als die Hamas und andere palästinensische Terrorgruppen Israel überfielen, und dem darauffolgenden Krieg in Gaza explodiert die Gewalt der israelischen Siedler im Westjordanland, wo rund drei Millionen Palästinenser*innen und 500.000 Israelis leben. Dort sind seit diesem Tag 957 Palästinenser*innen und 50 Israelis getötet worden, dokumentiert das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten.
Mit Gewalt erobern
Extremistische Nationalreligiöse, die rund ein Drittel der israelischen Siedler ausmachen, sind von einer messianischen Ideologie getrieben, nach der die biblischen Länder Judäa und Samaria – so nennen sie das Westjordanland – durch Pioniergeist und Gewalt erobert werden müssten.
Ende Juni griffen teils vermummte und bewaffnete Siedler palästinensische Häuser und Autos in Kafr Malik, unweit von Sindschil, mit Molotowcocktails an. Beide Seiten sollen sich mit Steinen beworfen haben. Die israelische Armee sage, sie sei daraufhin von palästinensischen Terroristen unter Beschuss genommen worden, berichtet die New York Times, bevor die Armee mindestens drei Palästinenser getötet habe. Palästinensische Augenzeugen sagen, dass sie keine Schüsse auf israelische Soldaten gehört hätten, bevor diese das Feuer eröffneten. Zwei Tage später griffen Dutzende israelische Siedler israelische Soldaten in der Nähe von Kafr Malik mit Steinen an.
Die Pressefreiheit im Westjordanland geht dramatisch zurück. Im März hinderten israelische Siedler den FAZ-Korrespondenten Christian Meier und weitere Journalist*innen an der Weiterfahrt und sollen sich bedrohlich verhalten haben, berichtet die Zeitung. Die israelische Polizei intervenierte, nahm jedoch Meier fest und ließ ihn erst nach mehreren Stunden frei unter der Auflage, 15 Tage lang das Westjordanland nicht mehr zu betreten.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen stehen die palästinensischen Gebiete, wozu das Westjordanland zählt, auf Platz 163 von 180. Internationale Journalist*innen werden selten festgenommen oder angegriffen. Palästinensische Medienschaffende hingegen stehen von zwei Seiten unter Druck: sowohl durch israelische Sicherheitskräfte und Siedler als auch durch die Palästinensische Autonomiebehörde.
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