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Attacke auf Deutsche Welle bei RamallahSender im Steinhagel

Im Westjordanland greifen radikale israelische Siedler zwei Jour­na­lis­t*in­nen der Deutschen Welle an – kein Einzelfall in den besetzten Gebieten.

Angriff israelischer Siedler auf das das Dorf Sinjil in der Westbank am 4. Juli 25 Foto: John Wessels/afp

Die beiden Jour­na­lis­t*in­nen der Deutschen Welle waren laut dem Sender nach Sindschil gefahren, nördlich von Ramallah, um über einen geplanten Protest gegen israelische Siedlergewalt zu berichten. Am Ende soll ebendiese Gewalt sie persönlich getroffen haben – der jüngste Vorfall einer langen Chronik der Gewalt im palästinensischen Westjordanland, die seit dem 7. Oktober 2023 zunimmt.

Am Freitag sollen eine Korrespondentin aus dem Jerusalemer Büro des Senders und ein Kameramann dort mit großen Steinen beworfen und verfolgt worden sein. Beide seien mit Pressewesten klar als Jour­na­lis­t*in­nen zu erkennen gewesen sein, so die Deutsche Welle in einem Statement. Sie hätten sich unverletzt in Sicherheit bringen können, doch das Auto des Kameramanns sei stark beschädigt worden, ein Fenster sei zersplittert, das Blech verbeult worden. Auch weitere Jour­na­lis­t*in­nen internationaler Medien wie AFP, New York Times oder Washington Post seien anwesend gewesen und hätten unter einem Steinhagel fliehen müssen.

Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle, fordert: „Die israelische Regierung muss die Sicherheit aller Journalistinnen und Journalisten im Westjordanland gewährleisten. Die Pressefreiheit – und damit die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten – ist die unverzichtbare Säule jeder Demokratie.“ Auch Mika Beuster, Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, verurteilte den Vorfall scharf: „Es kann nicht sein, dass radikale Siedler ungestraft Jagd auf Medienschaffende machen. Das darf nicht ohne Folgen bleiben.“ Auf der Social-Media-Plattform X schrieb Steffen Seibert, der deutsche Botschafter in Israel: „Die Pressefreiheit und die Sicherheit von Journalisten müssen gewährleistet sein. Angesichts der zunehmenden extremistischen Siedlergewalt ist ihre Arbeit unerlässlich.“

Seit dem 7. Oktober 2023, als die Hamas und andere palästinensische Terrorgruppen Israel überfielen, und dem darauffolgenden Krieg in Gaza explodiert die Gewalt der israelischen Siedler im Westjordanland, wo rund drei Millionen Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und 500.000 Israelis leben. Dort sind seit diesem Tag 957 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und 50 Israelis getötet worden, dokumentiert das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten.

Mit Gewalt erobern

Extremistische Nationalreligiöse, die rund ein Drittel der israelischen Siedler ausmachen, sind von einer messianischen Ideologie getrieben, nach der die biblischen Länder Judäa und Samaria – so nennen sie das Westjordanland – durch Pioniergeist und Gewalt erobert werden müssten.

Ende Juni griffen teils vermummte und bewaffnete Siedler palästinensische Häuser und Autos in Kafr Malik, unweit von Sindschil, mit Molotowcocktails an. Beide Seiten sollen sich mit Steinen beworfen haben. Die is­rae­lische Armee sage, sie sei daraufhin von palästinensischen Terroristen unter Beschuss genommen worden, berichtet die New York Times, bevor die Armee mindestens drei Palästinenser getötet habe. Palästinensische Augenzeugen sagen, dass sie keine Schüsse auf israelische Soldaten gehört hätten, bevor diese das Feuer eröffneten. Zwei Tage später griffen Dutzende israelische Siedler israelische Soldaten in der Nähe von Kafr Malik mit Steinen an.

Die Pressefreiheit im West­jor­dan­land geht dramatisch zurück. Im März hinderten israelische Siedler den FAZ-Korrespondenten Christian Meier und weitere Jour­na­lis­t*in­nen an der Weiterfahrt und sollen sich bedrohlich verhalten haben, berichtet die Zeitung. Die israelische Polizei intervenierte, nahm jedoch Meier fest und ließ ihn erst nach mehreren Stunden frei unter der Auflage, 15 Tage lang das Westjordanland nicht mehr zu betreten.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen stehen die palästinensischen Gebiete, wozu das Westjordanland zählt, auf Platz 163 von 180. Internationale Jour­na­list*in­nen werden selten festgenommen oder angegriffen. Palästinensische Medienschaffende hingegen stehen von zwei Seiten unter Druck: sowohl durch israelische Sicherheitskräfte und Siedler als auch durch die Palästinensische Autonomiebehörde.

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5 Kommentare

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  • Der religiöse Wahn greift um sich und dass es auch jüdische Rechtsradikale gibt ist jetzt nicht neu, verwundert auf den ersten Blick vielleicht, zeigt aber auch die Anfälligkeit aller Gesellschaften für den Faschismus in seinen Ausprägungen.

    • @Axel Schäfer:

      Wundert mich ehrlich gesagt nicht. Überall da, wo Verkünder der reinen Wahrheit unterwegs sind, gibts früher oder später immer Extremisten. Dagegen ist keine Gesellschaft immun. Und in Krisenzeiten erst recht nicht.

  • " Die Pressefreiheit ist die unverzichtbare Säule jeder Demokratie."



    Das allerdings ist im WJL obsolet, dort gibt es keine Demokratie. Die Ultra-Extremisten Ben Gvir, Smotrich und auch Netanjahu wollen dort weder Demokratie und schon gar keine Journalisten, weil die genau diesen Zustand beschreiben sollen, gar müssen. Und auch hier schaut die Welt einfach nur schweigend zu wie ungeniert Kriegsverbrechen, Morde und völkerrechtswidrige Verteibungen organisiert werden. Deutschland u.a. liefert die Waffen dafür . . .

  • „Es kann nicht sein, dass radikale Siedler ungestraft Jagd auf Medienschaffende machen. Das darf nicht ohne Folgen bleiben.“ Es kann auch nicht sein das israelische Siedler ungestraft Jagd auf Palästinenser machen oder internationale Aktivisten... passiert aber fast täglich. Die Daten der israelischen Organisation Yesh Din sind ziemlich eindeutig, in nur ca. 6% der Fälle von 2005-2023 kam es überhaupt zu einer Anklage und nicht selten sieht die Armee zu oder verhaftet die Palästinenser die attackiert werden: www.yesh-din.org/e...iolence-2005-2023/



    Und wenn Peter Limbourg von den Säulen einer Demokratie spricht... seit wann gibt es demokratische Verhältnisse im WJL? Dort herrscht seit Jahren ein brutales Besatzungsregime für die palästinensische Bevölkerung, was mit Demokratie nicht zu tun hat und in diversen Aspekten gegen Völkerrecht verstößt: www.icrc.org/en/do...tinian-territories



    Für die seit 7/10 über 200 getöteten, + die verwundeten oder inhaftierten Journalisten wurde wer zur Rechenschaft gezogen? Richtig...Niemand.

  • Daß Journalisten von Rechtsradikalen angegriffen werden kommt auch in Deutschland und anderen (demokratischen) europäischen Ländern vor. Was allerdings (noch) nicht vorkommt ist, daß Journalisten gezielt von der Armee getötet werden.