Atomkraft in NRW: Kein Konzept, keine Perspektive
Umweltschützer:innen blicken enttäuscht auf die schwarz-grüne Atompolitik in Nordrhein-Westfalen. Über 150 Atommülltransporte sind geplant.
Gleiches gelte auch im Umgang mit den wachsenden Atommüllbergen auf dem Gelände von Deutschlands einziger weiter produzierenden Urananreicherungsanlage in Gronau: Das ist das Fazit einer Stellungnahme, die fünf Anti-Atom-Initiativen gemeinsam mit dem Umweltschutzverband BUND in NRW, den Internationalen Ärzt:innen zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) und dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) vorgelegt haben.
Atomkraftgegner:innen protestieren seit Jahren gegen die wegen angeblicher Erdbebengefahr angeordneten Transporte aus dem Zwischenlager des ehemaligen Kernforschungszentrums Jülich ins Zwischenlager nach Ahaus. Spätestens seit 2022 ist klar: Die Erdbebengefahr existiert gar nicht. Dennoch wird behördlicherseits weiter an den hochradioaktiven Atommülltransporten, die mit bis zu 152 Lkw-Fahrten über Autobahnen mitten durch Ballungsräume wie die Landeshauptstadt Düsseldorf und das Ruhrgebiet führen sollen, gearbeitet.
Wie die grüne Wirtschafts- und Energieministerin Neubaur am Mittwoch vor dem Wirtschaftsausschuss des Landtags bestätigte, liegt seit dem 22. Januar der „Entwurf einer Transportgenehmigung“ des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) vor. Nachfragen der taz zu Kritik oder Bedenken seitens der Atomaufsicht beantwortete Neubaurs Ministerium nicht: „Aus Gründen des staatlichen Geheimschutzes“ könnten „der Öffentlichkeit leider keine Auskünfte erteilt“ werden.
Zwischenlager ist unzureichend geschützt
Für Atomkraftgegner:innen ist dagegen klar: Nähme die schwarz-grüne Landesregierung ihren eigenen Koalitionsvertrag ernst, der die „Minimierung von Atomtransporten“ verspricht, müsse die Stellungnahme von Neubaurs Atomaufsicht zum BASE-Entwurf „eindeutig ablehnend ausfallen“. Das schätzen nicht nur Marita Boslar vom Jülicher Aktionsbündnis Stop Westcastor und Hartmut Liebermann von der Bürgerinitiative Kein Atommüll in Ahaus so ein: „Wir bleiben bei unserer Klage gegen die Beförderungsgenehmigung“, sagt auch Kerstin Ciesla, in NRW stellvertretende Landesvorsitzende des Umweltschutzverbandes BUND.
In Jülich müsse „endlich ein neues Zwischenlager gebaut werden“, fordert Ciesla stattdessen – schließlich sei klar, dass auch das Zwischenlager am Standort Ahaus nur unzureichend etwa gegen Flugzeugabstürze oder mögliche Terroranschläge geschützt sei. Ministerin Neubaur müsse deshalb für den Standort Jülich eine „temporäre Verlängerung“ genehmigen.
Neubaurs Ministerium argumentiert auf taz-Nachfrage dagegen: Die Landesregierung habe der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen, die von Bundes- und Landesregierung finanziert wird, als Besitzerin des dortigen Atommülls bereits den Weg für den Kauf von Grundstücken zum Bau eines neuen Zwischenlagers vor Ort geebnet. Jetzt müsse die Bundesregierung das nötige Geld bereitstellen: „Dieser Erwerb durch die JEN bedarf jedoch der Zustimmung des Bundes als Hauptzuwendungsgeber der JEN.“
In der Kritik steht die schwarz-grüne Landesregierung in NRW aber auch wegen des Umgangs mit Deutschlands einziger Urananreicherungsanreicherungsanlage (UAA) im münsterländischen Gronau, die der Bundesrepublik den Zugang zur Atomwaffentechnologie sichert. Trotz Atomausstiegs verfügt die UAA über eine unbefristete Betriebsgenehmigung – und produziert deshalb immer neuen Atommüll. Weil dieser wegen des Angriffs auf die Ukraine nicht mehr billig nach Russland exportiert werden könne, lagerten dort schon heute rund 35.000 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid, schätzt der Atomkraftgegner Matthias Eickhoff von der Initiative Sofortiger Atomausstieg Münster.
Genaue Angaben sind Staatsgeheimnis
„Für diese Tausenden Tonnen Uranmüll gibt es in Düsseldorf offensichtlich gar kein Konzept. Es existiert nicht einmal eine Basisplanung für die notwendige Endlagerung“, kritisiert Eickhoff. „Stattdessen werden die wachsenden Atomprobleme in Gronau einfach an die kommenden Generationen weitergereicht. Das ist nicht akzeptabel.“
UAA-Betreiber Urenco plant dagegen weiter mit langfristiger Produktion – und hat für die Lagerung und Entsorgung alter, radioaktiv verseuchter Zentrifugen nicht nur den Bau einer weiteren Lagerhalle beantragt. Auch ein „genehmigungspflichtiges Reststoff-Bearbeitungs-Zentrum sei in Planung“, erklärte Ministerin Neubaur im Landtag.
Ob dabei Umweltverträglichkeitsprüfungen mit umfassender Öffentlichkeitsbeteiligung angeordnet würden, sei aber noch unklar, erklärt ihr Ministerium – und macht nebenbei klar, wie sicherheitsrelevant die atomwaffenfähige Urananreicherungstechnik ist: Fragen nach der Größe des neuen Zentrifugenlagers und der Zahl der bereits ersetzten Zentrifugen könnten nicht beantwortet werden „aus Gründen des staatlichen Geheimschutzes sowie aus Gründen der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen“.
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