Atomkraft in Finnland: Russland baut ein neues AKW
Kabinett beschließt Errichtung des sechsten Reaktors. Grüne verlassen aus Protest die Regierung. Zwei Drittel der Bevölkerung gegen Deal mit Moskau.
STOCKHOLM taz | Finnland setzt weiter auf Atomenergie. Die Regierung in Helsinki gab am Donnerstag grünes Licht für den Bau eines neuen AKW. Der sechste Reaktor des Landes - vier sind im Betrieb, einer im Bau - soll im nordwestfinnischen Pyhäjoki gebaut werden. Und es wird ein russisches Atomkraftwerk sein. Nicht nur der Bauauftrag soll an eine Tochter der russischen „Rosatom“ gehen, dieser staatliche Atomkonzern wird auch Betreiber und grösster einzelner Anteilseigner sein. Die seit Monaten kontrovers diskutierte Entscheidung veranlasste „Vihreät“, Finnlands Grüne, die Regierungskoalition zu verlassen, der sie seit 2011 angehört hatten.
„Wir werden keinen Ausbau der Atomenergie akzeptieren“, hatte der Grünen-Vorsitzende und Umweltminister Ville Niinistö schon vor der Kabinettsentscheidung angekündigt, bei der auch die liberale Justizministerin, sowie vier sozialdemokratische Kabinettsmitglieder mit Nein stimmten. Laut Umfragen lehnen auch zwei Drittel der finnischen Bevölkerung den Russland-Deal ab.
Die erneute Abstimmung über das 2010 schon einmal genehmigte Projekt war erforderlich geworden, weil der ursprünglich als Betreiber vorgesehene deutsche Energiekonzern Eon 2012 seine Beteiligung aufgekündigt hatte. Das finnische Baukonsortium sah sich danach gezwungen, für die Betreiberrolle ein neues Energieunternehmen zu finden. Doch kein europäischer Stromkonzern sah offenbar eine Möglichkeit, wie sich die erforderlichen Investitionenin Milliardenhöhe rechnen könnten - ausser „Rosatom“.
Über ihre grundsätzliche Ablehnung atomarer Energieproduktion hinaus kritisieren weite Teile der Anti-Atombewegung das Pyhäjoki-Projekt nun zusätzlich wegen der Rolle des russischen Staatskonzerns. „Es geht um viel mehr, als dass irgendeine ausländische Firma Finnland einen Reaktor liefert“, betont Hanna Halmeenpää, die Vorsitzende der lokalen Anti-AKW-Gruppe „Pro Hanhikivi“. Ein Argument für einen neuen Reaktor sei gewesen, dass Finnlands Energieversorgung weniger abhängig von Russland werden solle. Nun werde diese Abhängigkeit sogar noch grösser. „Rosatom“ - auch für die russische Atomwaffenproduktion zuständig - sei ein Staatsunternehmen, das einen besonders wichtigen Status habe und dessen beschlussfassende Organe direkt von Präsident Wladimir Putin ernannt werden, „der sich um internationale Spielregeln ja nicht besonders zu kümmern scheint“.
Gefahr einer Erneuten "Finnlandisierung"
Auch viele Medienkommentare bezeichnen es als blauäugig wolle man leugnen, dass starke politische Interessen hinter Moskaus Beschluss lägen, in Finnland ein AKW zu bauen und zu betreiben. Umweltminister Niinistö äusserte in einem Interview mit der Financial Times, Finnland werde in die Zeit der „Finnlandisierung“ zurückfallen und sich mit diesem Kraftwerkbau in eine äusserst verletzbare Position manövrieren: „Wir geben Russland den Hebel, den es gegenüber dem Westen und der EU haben will.“
Für die Grünen-Europaparlamentarierin Heidi Hautala ist zusätzlich problematisch, dass „Rosatom“ den gesamten Brennstoffkreislauf des projektierten Reaktors handhaben solle. Russland werde durch den AKW-Betrieb deshalb auch noch Plutonium gewinnen, das in nuklearen Waffen verwendet werden könne. „Will Finnland wirklich dazu beitragen, dass ein Land, das solche Feindschaft gegenüber Nachbarländern zeigt, seine Nuklearkapazität ausbauen kann?“
Der Beschluss des finnischen Kabinetts ist allerdings an eine Voraussetzung geknüpft, die das Baukonsortium „Fennovoima“, das mehrheitlich aus Industrieunternehmen, sowie öffentlichen und privaten Energieerzeugern besteht, noch erfüllen muss. Laut Gesetz muss die AKW-Betreibergesellschaft zu 60 Prozent finnisches Eigentum sein. Bislang liegt dieser Anteil unter 50 Prozent. Zählt man zu „inländischen Beteiligungen“ auch solche aus EU-Ländern - und Wirtschaftsminister Jan Vapaavuori scheint diesen Trick absegnen zu wollen - landet man auch erst bei 54 Prozent.
Da „Rosatom“ bislang nur den Eon-Anteil von 34 Prozent hält und den auch nicht auf mehr als 40 Prozent aufstocken kann, besteht noch eine Finanzierungslücke für das auf über 6 Milliarden Euro Baukosten geschätzte Projekt.
Politisch ist mit dem Ausstieg der Grünen aus der Regierung deren parlamentarische Basis nun auf 102 der 200 Reichstagssitze geschrumpft. Der konservative Ministerpräsident Alexander Stubb gab sich aber zuversichtlich mit der von sechs auf vier Parteien - die Linken waren schon im März im Streit um ein Reformpaket ausgestiegen - verkleinerten Koalition bis zu den Wahlen im Frühjahr 2015 weiterregieren zu können.
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