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„Atlas“ am Hamburger SchauspielhausGruselig gut vernetzt

Calle Fuhr beleuchtet am Schauspielhaus Lobby-Organisationen wie „Atlas Network“. Sein „Bühnenessay“ ignoriert leider die Möglichkeiten des Theaters.

Der Klima-Zündler aus dem Bundestag: Samuel Weiss als FDP-­Abgeordneter Frank Scheffler Foto: Maris Eufinger

Atlas, das ist in der griechischen Mythologie der Titan, der das Universum auf seinen Schultern trägt. Atlas, das ist auch ein 1981 gegründetes Netzwerk voller „libertärer“ Akteur*innen: ein gruselig gut vernetzter Thinktank, auf dessen Agenda unter anderem die Verbreitung „klimaskeptischer“ Positionen steht. Diesem Atlas widmet Calle Fuhr einen Theaterabend, entstanden in Kooperation mit den Re­cher­cheu­r*in­nen von Correctiv.

Es ist nicht ihre erste Zusammenarbeit: Im November 2023 entwickelte Fuhr mit dem investigativjournalistischen Correctiv-Netzwerk „Das Kraftwerk – ein Recherchestück über Kohle, Wasser und die Ewigkeit“ für das Staatstheater Cottbus. Der Abend gab Einblicke in die Folgen des Kohleausstiegs für die Wasserversorgung und -qualität in der Lausitz und wurde im vergangenen Jahr zum Festival „radikal jung“ eingeladen.

Fuhr ist überzeugter Macher von Dokumentartheater. In „Atlas“ widmet er sich nun also der Klimakrise – beziehungsweise deren Verschwinden aus der Medienöffentlichkeit. Waren vor wenigen Jahren die Feeds und Zeitungen noch voll von Klima-Schlagzeilen, spielte das Thema etwa bei den Europawahlen 2024 kaum eine Rolle mehr, und noch weniger bei den jüngsten Bundestageswahlen. Trotz etlicher Jahrhunderthochwasser und rekordverdächtiger Zigtausender Hitzetote scheint Klimaschutz politisch quasi egal geworden zu sein. Ist das Zufall oder Absicht? Ein Effekt der krisenreichen Weltlage – oder durch gezielten Lobbyismus bewirkt?

Medien, Macht und Manipulation

Bei ihren Recherchen zu diesen Fragen stieß die Klima-Redaktion von Correctiv auf jenes „Atlas Network“, ein ziemlich intransparentes Netzwerk. Es unterstützt und koordiniert weltweit Organisationen, beauftragt tendenziöse Studien, nimmt Einfluss auf Medien und Berichterstattung. Wie, wann und warum es mit wem verstrickt ist, welche Macht und Manipulationen es auf den öffentlichen Diskurs zu leisten vermag, das will Fuhr in seinem Theaterabend erklären: ein ambitioniertes, ein schwieriges Unterfangen.

Dafür versuchen Samuel Weiss, Josefine Israel, Sasha Rau und Maximilian Scheidt das Recherchematerial zu schauspielerischem Leben zu erwecken. Sie schlüpfen mal kurz in die Rolle – und damit auch in das very british angehauchte, von Jana Sophia Schweers entworfene Kostüm – des Unternehmers und Atlas-Gründers Antony Fisher. Oder spielen ein Podcast-Gespräch zwischen Justus Haucap, einem offenbar ziemlich käuflichen Gutachtenschreiber, und Lars Feld, ehemals Chefberater von Christian Lindner, demnächst ehemaliger FDP-Chef.

Neben dem gemeinsamen Podcast „Das Ökonomie-Briefing“ eint die Ökonomie-Professoren, eben, ihre Nähe zu Atlas, ferner die Vorliebe für schlagende Verbindungen. Zum Schaudern saturiert erzählen also Sasha Rau und Josefine Israel als Professoren-Duo von ihren Karriere-Highlights, ihren verbindlichen Verbindungen zu Politik und Wirtschaft – und sagen Sachen wie: „Über Gutachten kann man wahnsinnig gut Einfluss ausüben.“

Guter Vortrag, schwache Bilder

In einer anderen Szene spöttelt Samuel Weiss in herrlich arrogantem Ton als Frank Schäffler, Bundestagsabgeordneter der FDP, über die Klimakrise, Die Letzte Generation sowie Kartoffelpüree. Und er freut sich über seine wirksame Nähe zum Axel-Springer-Verlag. Zwischendurch schleppen die Dar­stel­le­r*in­nen umzugskistenweise Material herbei, stapeln ordnerweise Recherchen, und rappen den Versuch, Übersicht zu bringen in die unübersichtlichen Zusammenhänge; großartig changierend zwischen Verwirrung und Faszination: Maximilian Scheidt.

„Atlas“ am Hamburger Schauspielhaus

Nächste Vorstellungen: Do, 13. 3. (ausverkauft, evtl. Restkarten); Do, 10. 4.; Mo, 21. 4., Hamburg, Deutsches Schauspielhaus/MalerSaal

Unermüdlich versuchen die vier Schau­spie­le­r*in­nen jeden spielbaren Freiraum zu finden und zu füllen. Allein: Allzu viel davon gibt es nicht, und das liegt in der Natur der Sache. Aufklärerisches Dokumentartheater und fiktionale Fantasien passen nicht gut zusammen. Fakten wollen und sollen Fakten bleiben, abweichend Spielfreudiges bleibt entsprechend auf der Strecke.

So funktioniert dieser ex­trem gut recherchierte, wichtige Abend in weiten Teilen nach dem Prinzip „interaktiver Vortrag“: Ein*e Dar­stel­le­r*in erklärt die Sachlage und trägt monologisierend recherchierte Ergebnisse und erschreckende Erkenntnisse vor; ein*e wei­te­r*e Schau­spie­le­r*in unterbricht und rekapituliert mit Nach- und Zwischenfragen – zarte Interaktion inklusive.

Nach wenigen Szenen, die Überschriften wie „Atlas am rechten Rand“ oder „How to hijack den öffentlichen Diskurs“ tragen, hat Fuhrs „Atlas“ die möglichen Weiten des Theaterraums verlassen und gerät zum trockenen, maximal informativen, höchstens noch ganz fein parodistischen Frontalkurs über ekelhafte Strippenzieher, skrupellose Korruption und selbstsüchtige Machenschaften. Angekündigt ist das als „Bühnenessay“. Lässt man sich darauf ein, fühlt man sich danach mindestens so gut informiert wie nach einem Arte-Themenabend. Allein die Bilder sind nicht ganz so stark.

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