Athletin über Zeichen für Toleranz: „Wovor haben die Angst?“
Es war keine Selbstverständlichkeit, doch Hockeyspielerin Nike Lorenz trägt bei Olympia die Regenbogenbinde. Das IOC gibt dem Druck nach.
taz: Frau Lorenz, was hat es mit den deutschen Hockey-Frauen und der Regenbogenbinde auf sich?
Nike Lorenz: Wir tragen die Regenbogenbinde ja schon länger, unter anderem zuletzt bei der Hockey-EM.
Also schon vor der Fußball-EM und der großen öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema.
Bei uns war das gar nicht so ein krasses Spektakel. Das, was die Regenbogenbinde ausdrückt, leben wir total in unserer Mannschaft. Wir haben ein paar Mädels, die homosexuell sind und in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung leben, das heißt, bei uns ist der Umgang mit dem Thema generell etwas anders, als man das in der Gesellschaft so wahrnimmt. Die Regenbogenbinde war für uns nur ein kleiner Zusatz, um nach außen auszudrücken, was wir sind, wer wir sind, wofür wir stehen.
Wie haben Sie es erlebt, als das Thema bei der Fußball-EM so hochgekocht ist?
Ich mag diesen Fingerzeig von Deutschland in Richtung anderer Länder nicht. Zu sagen, in Ungarn haben sie aber Diversitätsprobleme, und in den USA haben sie Rassismusprobleme, so zu tun, als hätten wir das in Deutschland nicht, das gefällt mir nicht. Ansonsten erwarte ich von der Uefa keine besonderen Aktionen im Sinne der Menschenrechte.
Und vom IOC? Das hat ja nun erlaubt, dass Sie als Kapitänin in Tokio die Regenbogenbinde als Symbol für sexuelle Diversität tragen. Hat Sie diese Erlaubnis überrascht?
Das ist ein großer Erfolg. Als ich die Anfrage angestoßen habe, habe ich nicht damit gerechnet, dass das IOC mit sich reden lässt. Uns wurde zunächst signalisiert, dass ich die Binde nicht tragen darf. Die Regel 50.2 sei ja schon aufgeweicht worden und man könne vorm Spiel und danach die Binde tragen. Im Dorf, beim Wettkampf und bei Zeremonien aber eben nicht.
Wie erklären Sie sich das Einlenken?
Ich glaube, dass der wachsende gesellschaftliche Druck eine Rolle spielt. Olympische Spiele erfahren immer wieder eine Neuinterpretation. Damit die Spiele auch wirklich für das stehen, was das IOC in seine Grundsätze schreibt, war das jetzt der nächste konsequente Schritt. Das IOC und generell Olympia definieren sich ja schon über so Sachen wie Gleichberechtigung, Solidarität, Diversität, Fair Play. Die Spiele und das Olympische Dorf sollen Ausdruck all dessen sein.
Das IOC hat im Vorfeld dieser Spiele immer wieder Mitteilungen verschickt, die von Fortschritten in Sachen Athletenrechte, Gendergleichheit und Inklusion zeugen sollten. Wie erleben Sie die Realität jenseits der Pressemeldungen?
Ich habe mir zuletzt noch mal viel zu den Fundamenten der olympischen Bewegung durchgelesen, und das IOC und ich sind uns eigentlich total einig. Ich habe mich gefragt, wovor die Angst haben und warum es diese Regeln gibt, die uns Athleten nur eingeschränkt eine symbolische Meinungsäußerung erlauben.
Der deutsche Fechter und Athletensprecher Max Hartung sagt: „Es sollte für die Athletinnen und Athleten bei einem humanistischen Sportfest jederzeit erlaubt sein, für Werte wie Toleranz und Respekt einzutreten.“ Hat er Recht?
Ja klar. Natürlich hätte es selbstverständlich sein müssen, dass ich die Regenbogenbinde tragen kann. Aber das ist es nicht, die Regeln des IOC haben das bislang nicht zugelassen. Wir müssen uns jetzt mit Präzedenzfällen langsam voran pirschen und uns unsere Freiheiten holen.
Im neuen Eid heißt es: „Wir versprechen, an diesen Olympischen Spielen teilzunehmen und die Regeln zu respektieren im Geiste von Fair Play, Inklusion und Gleichheit.“ Wird Olympia diesen Idealen gerecht?
Ich bin gespannt, was noch passieren wird. Ich glaube, dass hier in Tokio sehr viele mündige Sportler sind. Dass wir uns alle viel mehr trauen, mehr zu sein als nur eine Person, die Vollgas im Sport gibt. Dass wir uns trauen, auch noch den Menschen dahinter zu zeigen und für unsere Meinungen einzustehen.
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