piwik no script img

Athener Wirtschaftsforscher über die Krise„Die Deutschen drehen immer durch“

Der Fall Griechenland: Der Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis gibt Auskunft über seine Studenten, Eurobonds und die deutsche Verantwortung in der Krise.

„Das Kapital aus Europa fließt nach Deutschland, die Krise erlaubt der Bundesrepublik traumhafte Niedrigzinsdarlehen“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis. : dpa

taz: Herr Varoufakis, Sie haben sich eine Auszeit von Athen genommen und sind nach Seattle gezogen. Wann haben Sie das denn entschieden?

Yanis Varoufakis: Der Entschluss ist noch ganz frisch. Während der Krise ist alles, wofür ich gearbeitet habe, zusammengebrochen. Als ich nach 23 Jahren im Ausland vor zehn Jahren nach Athen zurückkehrte, habe ich alle meine Energie in den Ausbau der ökonomischen Fakultät gesteckt. Jetzt bleiben die Gelder aus. Stellen, für die ich zwei Jahre gekämpft habe, können nicht mehr bezahlt werden. Ich konnte gerade noch sehen, wie ich für die besten meiner Studenten im Ausland Jobs auftreibe.

Der Fachbereich in Athen bricht auseinander?

Ja.

Wird Griechenland von der Troika kaputtgespart?

In der Troika gibt es zwei Fraktionen. Die eine besteht aus Zynikern, die zweite aus Dummköpfen. Die Dummköpfe denken, sie hätten das Problem tatsächlich gelöst. Die Zyniker wissen, dass die ganzen Rettungspakete und Sparprogramme keine Lösung bringen, ihnen aber gebracht haben, was sie wollten, nämlich Zeit zu gewinnen.

Im Interview2Inews: 

geboren 1961, ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und ökonomische Theorie an der Universität Athen und lehrte u.a. an den Universitäten von Sydney und Cambridge. Er ist Autor des Buches „Der globale Minotaurus. Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft“, Verlag Antje Kunstmann, München 2012, 288 S.

Zeit wofür?

Um eine Lösung auszuarbeiten. Es ist doch eigentlich ganz einfach: Wenn jemand bankrott ist, kann ich ihn nicht retten, indem ich ihm einen Riesenkredit gebe unter Bedingungen, die sein Einkommen verringern. Anfang des Jahres 2010 war klar, dass der griechische Staat bankrott ist. Europa hatte eine einfache Wahl: Entweder erlaubt man dem bankrotten Staat, Insolvenz anzumelden. Oder man kapiert, dass ein solches Problem eines Staates in Europa andernorts in Europa eine Entsprechung hat. Das heißt, dass in dem Maße, wie Griechenland seine privaten und staatlichen Schulden vergrößerte, ein anderer Staat, etwa Deutschland, auch wegen seiner Niedriglohnpolitik, seine wirtschaftliche Führungsrolle ausbauen konnte. Dann muss man die Architektur des Euro verändern. Sie haben nichts von beidem getan.

Ein Teil der griechischen Linken, aber auch der Frankfurter Finanzsektor liebäugelt mit der Abkoppelung Griechenlands vom Euro. Das ist vielleicht keine schlechte Idee: Die Schulden werden abgeschrieben, die Drachme wird wieder eingeführt, die Griechen können beliebig Geld drucken und ihren Wechselkurs der Nachfrage nach ihren Produkten anpassen?

Eine grauenvolle Vorstellung, für alle, für Griechen, für Deutsche, Chinesen wie Amerikaner. Nicht nur deshalb, weil inzwischen die ganzen griechischen Staatsschulden nicht mehr von den Banken gehalten werden, sondern die europäischen Steuerzahler für sie einstehen müssen. Auch deshalb, weil Siemens und zahlreiche andere internationale Konzerne ihre sämtlichen privaten Verträge mit Griechenland in Euro abgeschlossen haben. Wenn Griechenland aussteigt, haben wir eine Kaskade von Prozessen am Hals, vor Gerichten in New York und London. Das würde das gesamte Finanzsystem ins Schleudern bringen und unzählige Länder in eine Rezession ziehen. Ich war immer gegen den Euro in den Neunzigern. Aber Griechenland ist dem Euro nun mal beigetreten. Jetzt sind wir drin, und jetzt muss man es wieder in Ordnung bringen.

Aber der Europäische Rettungsschirm funktioniert doch?

Der Rettungsschirm ist völlig falsch konstruiert. Deutsche Steuerzahler wollen und können diese Schulden nicht bezahlen. Roosevelt hat während der Großen Depression doch auch nicht den Staat New York gefragt, ob er die Schulden von Illinois übernehmen will. Er hat Staatsanleihen ausgegeben und damit die Wirtschaft in Schwung gebracht.

Demokratieserie

Sie schlagen in Ihrem Buch „Der globale Minotaurus“ die Einführung von Eurobonds vor, damit europäische Staaten die Wirtschaft ankurbeln können. Aber sind Eurobonds nicht genauso Schmus wie die toxischen CDOs, ein Mix aus soliden und unsoliden Wechseln?

Das wären die Eurobonds, von denen Angela Merkel spricht: Pakete von Anleihen einzelner Euroländer. Klar, bei diesen Eurobonds wären die Zinsen für Deutschland viel zu hoch, weil bei den Zinsen ein Mittelwert aus den Zinssätzen aller beteiligten Länder veranschlagt würde. Nur wird da ein Pappkamerad aufgestellt von Merkel. Ich meine etwas völlig anderes. Die Eurobonds, die ich meine, gibt die Europäische Zentralbank aus und sie garantiert auch für sie. Und das heißt nicht, dass man Geld druckt. Leihen ist nicht drucken. Wenn man die Geldpresse anschmeißt, droht Inflation. Eurobonds dagegen schützen vor Inflation.

Aber würde nicht durch solche Bonds der Schuldenberg in Europa vergrößert?

Nein, er würde schrumpfen. Bei den derzeitigen Zinssätzen, die Italien zahlen muss, braucht das Land, wenn es heute eine Million leiht, bei einer 20-jährigen Laufzeit zwei Millionen, um diese Schuld zu begleichen. Das Geld aus den Eurobonds würde man günstig an Italien weiterverleihen. Wenn man es dadurch schafft, die Zinsen für Italien zu senken, wird der Schuldenberg kleiner. Die Märkte würden das feiern. Und dann wäre die Schuldenkrise endgültig vorbei.

Wenn man sich zu einer solchen keynesianistischen Intervention auf europäischer Ebene entschließt: Wer entscheidet, welche Investitionsprojekte umgesetzt werden?

Das kann die Europäische Investitionsbank machen. Sie hat das Know-how, zu entscheiden, wo investiert wird. Sie muss nur befreit werden von der Auflage, dass die Hälfte des Investitionskapitals von den nationalen Regierungen bezahlt werden muss. Denn keine Regierung hat zurzeit Geld, um zu investieren. Die EIB hat sehr interessante Geschäftsideen, und sie arbeitet Gewinn bringend. Wenn die EIB Anleihen herausgibt, verkaufen die sich wie warme Semmeln, weil die Anleger der Investitionsbank vertrauen.

Man muss es vielleicht nicht wie Ex-Bundespräsident Roman Herzog ausdrücken, der den Begriff des „Fahrens auf Sicht“ geprägt hat, weil wegen der Globalisierung die politischen Lenkungsmöglichkeiten geschrumpft seien. Aber trauen Sie der Politik nicht zu viel zu?

Es stimmt, ihre Möglichkeiten sind deutlich geringer geworden. Das liegt aber nicht an der Globalisierung, sondern an der Machtverschiebung von der Politik zum Finanzsektor. Nur ist 2008 etwas Entscheidendes passiert. Damals ist die Finanzblase geplatzt, und die Politik hat dafür gesorgt, dass riesige Mengen Steuergelder in den Finanzsektor gepumpt wurden. Politik ist ein machtvoller Faktor. Die Frage ist nicht, ob die Politik Einfluss hat, sondern welche Politik sie betreibt. Im Moment ist das eine Politik, die zur Desintegration der europäischen Union und in die Wirtschaftskrise führt.

In Ihrem Buch fordern Sie, Deutschland muss Gewinne auf Defizitstaaten umverteilen und für deren Wohlergehen sorgen, damit sie deutsche Produkte kaufen können, ähnlich wie es die USA bis zur Krise von 1971 gemacht haben. Umverteilung im eigenen Interesse?

Nein, die Sache verhält sich nicht ganz so. Die Deutschen drehen immer gleich durch, wenn sie die Begriffe Transferunion oder Fiskalunion hören. Was wir in Europa brauchen, ist ein Recyclingmechanismus für Überschüsse in Form von Produktionsinvestitionen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus den USA. Wenn ein Auftraggeber wie Boeing einen mehreren Milliarden schweren Auftrag vergibt, um einen neuen Kampfjet für das Pentagon zu entwickeln, wird verlangt, dass einige der Produktionsstätten in Defizitländern errichtet werden. Das ist keine Philanthropie. Es wird kein Geld verschenkt an Tennessee oder Ohio. Nein, es wird mit Überschüssen aus Kalifornien oder New York eine Fabrik aufgebaut, damit Menschen in Tennessee Arbeit und Einkommen haben und auch kalifornische Produkte kaufen können. So funktioniert Recycling. Wenn man das nicht macht, kollabiert nicht nur die Defizitregion, sondern die Überschussregion gleich mit.

Aber die deutsche Wirtschaft steht doch ganz gut da. Warum sollten Merkel und Schäuble etwas anders machen?

Für Deutschland wäre es tatsächlich gut, jetzt die Pausetaste drücken zu können. Der Euro bliebe weiter in der Krise, und weil er so niedrig bewertet ist, existiert ein gesunder Exportmarkt nach China und in andere Länder außerhalb der Eurozone. Das Kapital aus Europa fließt nach Deutschland, die Krise erlaubt der Bundesrepublik traumhafte Niedrigzinsdarlehen. Natürlich möchte Deutschland, dass das so weitergeht. Aber das Land wird nicht mehr lange so gut dastehen. Wenn der Euro kollabiert und die überbewertete D-Mark wieder eingeführt wird, würde die Nachfrage nach deutschen Produkten sinken.

In Ihrem Buch kann man auch lesen, dass Sie sich Deutschland als Hegemon in Europa wünschen. Das hört sich angesichts der wachsenden griechischen Vorbehalte gegen die Führungsrolle, die Deutschland schon jetzt in Europa übernimmt, aber auch angesichts der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg nicht gerade populär an.

Deutschland hat sich viel mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt. Das Land kann nicht länger die Macht haben, die der ökonomische Erfolg mit sich bringt, aber die Hände hochreißen und sagen: Ich will das Ganze hier nicht managen. Europa befindet sich am Rand der Desintegration und jemand muss es führen. Ich habe kein Problem damit, wenn das Deutschland ist. Mein Problem ist, dass es das nicht gut macht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen