Asylrechtsreform: Fortschrittskoalition gegen Menschenrechte
In Bezug auf die Migrationspolitik ist die Ampel weit nach rechts gerückt. Personen im Grenzverfahren dürfen inhaftiert werden – auch Kinder.
D er 6. November 2024 wird als Schicksalstag im Gedächtnis bleiben. Zwei Ereignisse sind sofort präsent: Donald Trump gewinnt die US-Wahlen, und die Ampelkoalition bricht auseinander. Das dritte Ereignis bringt es zu weit weniger Aufmerksamkeit, ist jedoch ähnlich folgenreich. Das Bundeskabinett überführt noch vor dem Bruch das europäische Gesetz zur Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in nationales Recht.
Es ist der letzte gemeinsame Nenner einer Regierung, die in puncto Migrationspolitik stetig weiter an den rechten Rand gewandert ist. Das Gesetz stellt den größten Einschnitt im Asylrecht seit Jahrzehnten dar. Ohne Not hat sich die Ampel für eine besonders scharfe Auslegung des Gesetzestexts entschieden. Sie forciert die Instrumentarien Haft und Freiheitsbeschränkung für Personen im Grenzverfahren.
ist Migrationsforscherin und Referentin für Flucht und Migration bei der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international.
Nun dürfen auch Kinder inhaftiert werden. Künftig wird auch die Bundesregierung Länder zu „sicheren Herkunftsstaaten“ und „sicheren Drittstaaten“ erklären können. Ohne das zuvor noch existierende Korrektiv in Form des Bundesrates, der zumindest ansatzweise eine menschenrechtlich fragwürdige Migrationspolitik gängelte, schuf die selbst ernannte Fortschrittskoalition eine Zuständigkeit, die insbesondere in den Händen einer möglichen rechts-konservativen Bundesregierung zur Waffe gegen die europäische Idee der Menschenrechte eingesetzt werden kann.
Wie Haft und Freiheitsbeschränkung konkret aussehen werden, ist unklar. Klar ist hingegen, welche Haftanstalt der Bundesregierung Modell stand. Das Moria-Lager auf der griechischen Insel Lesbos gilt in verfahrensrechtlicher Hinsicht als Blaupause für GEAS. Vor vier Jahren ging Moria in Flammen auf, da die Haft für die Menschen nicht länger aushaltbar war.
Dass der Bundestag sich angesichts dessen lernresistent beweist, zeigt, vor welcher Zukunft Deutschland steht: Menschenrechtsverletzungen, die einst primär an den Außengrenzen vorzufinden waren, werden sich nun auch im Inneren einnisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos