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Assaf Gavron über seinen neuen Roman„Die Gegenwart ist furchtbar“

Der israelische Autor kritisiert die Politik in seinem Heimatland offen. Ein Gespräch über die Siedlungen, Boykotte und sein neues Buch.

Assaf Gavron bei einer Lesung in Köln Foto: imago/Horst Galuschka
Interview von Katharina Granzin

taz am wochenende: Herr Gavron, Sie sind im Grunde englischer Muttersprachler, Ihre Eltern sind aus England nach Israel eingewandert. Übersetzen Sie Ihre Romane eigentlich selbst ins Englische?

Assaf Gavron: Teils, teils. Dieses neue Buch ja, genau wie mein erstes. Für den Roman „Auf fremdem Land“ hatte ich mich entschieden, es von einem richtigen Übersetzer machen zu lassen, weil die Sprache dort anders ist, literarischer. Mein Englisch ist nicht zu hundert Prozent muttersprachlich. Meine Eltern sind zwar Briten, und ich bin mit Englisch aufgewachsen, aber meine erste Sprache ist doch Hebräisch.

Mit „Auf fremdem Land“ haben Sie bisher die meiste Aufmerksamkeit erregt. Der Roman spielt in den besetzten Gebieten, in den jüdischen Siedlungen. Welche Art von Diskussion kann man sich vorstellen, die in Israel der Veröffentlichung eines Romans mit diesem Thema folgt?

Ich hatte großen Erfolg damit, habe einen wichtigen Preis dafür bekommen und tolle Kritiken. Und das über die ganze politische Bandbreite hinweg, in rechten wie in linken Zeitungen. Ich glaube, die Leute wussten zu schätzen, dass das Buch kein politisches Manifest für eine Seite war. Es war einfach eine Geschichte über die Leute, von denen es handelte.

Haben Sie sich beim Schreiben sehr bewusst für eine möglichst neutrale Haltung entschieden?

Ich habe persönliche Ansichten, und ich verstecke sie keineswegs. Ich finde nur nicht, dass ein Roman der Ort ist, sie zu äußern. Aber morgen zum Beispiel nehme ich an einem Event teil, bei dem es um das Buch der Organisation “Breaking The Silence“ geht. Es ist ein Buch über die Besatzung. Ich bin sehr stolz, daran beteiligt zu sein, und halte das für eine wichtige Sache. Und mit „Auf fremdem Land“ ist es so – wenn man den Roman liest, versteht man wahrscheinlich schon, woher ich komme. Ich glaube nicht, dass man das lesen und dabei von der Sache der Siedler überzeugt werden kann.

Im Interview: Assaf Gavron

Jahrgang 1968, ist in Israel ein Bestsellerautor. Sein aktuelles Buch, „Achtzehn Hiebe“, ist im Luchterhand-Verlag erschienen. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. 416 S., 22 Euro

Und wenn man schon Siedler wäre und den Roman lesen würde?

Ich war ein paar Mal mit dem Buch auf Lesungen in Siedlungen, erst letzten Monat wieder, ganz nah bei Jerusalem. Keine sehr extreme Siedlung, weder politisch noch geografisch. Ich war von einer Lesegruppe eingeladen worden, die überwiegend aus Amerikanerinnen bestand. Sie hatten den Roman in englischer Übersetzung gelesen, und auch unser Gespräch fand auf Englisch statt. Sie hatten gar nicht das Gefühl, dass das Buch von ihnen handelte, weil es darin um einen viel ex­tremeren und kleineren Außenposten geht. Aber trotzdem: Sie sind auch Siedler – und stolz dar­auf. Und das Buch gefiel ihnen. Ich habe in dem Gespräch sogar ein paar Dinge gelernt, die ich, als ich den Roman schrieb, nicht wusste. Es gibt zum Beispiel ein Kapitel über den Sabbat. Schon am Freitagnachmittag wird dann immer alles ganz ruhig, irgendwie entspannt. Aber sie sagten, ja, gut, aber was ist mit dem enormen Druck vorher? Es gibt nämlich diesen ganz bestimmten Augenblick, wenn der Sabbat anfängt; in Jerusalem tönt dann eine Sirene. Nach diesem Moment darf man 24 Stunden lang gar nichts mehr tun. Also muss alles vorher vorbereitet sein, das ganze Essen, alles. Das ist großer Stress für die Frauen, und das war mir nicht klar. Die Männer haben diesen Druck nicht, die müssen vielleicht nur etwas schneller fahren, um rechtzeitig zu Hause zu sein.

Stimmt es, dass Sie einen Boykott der besetzten Gebiete befürworten würden? In Deutschland gab es eine große Diskussion darüber, ob man Produkte aus den Siedlungen kennzeichnen sollte.

Ich bin klar gegen einen kulturellen oder akademischen Boykott von Israel. Die einzige Art von Boykott, die ich vielleicht unterstützen würde, wäre ein ökonomischer. Und ganz besonders, was Produkte aus den Siedlungen betrifft. Ich weiß nicht, wie es mit den Dingen ist, die man in Deutschland zu kaufen bekommt, aber in Tel Aviv kommt es vor, dass bewusst verschleiert wird, wenn etwas aus den Siedlungen kommt.

Wie wird das gemacht?

Es gibt zum Beispiel einen Zwischenhändler im Scharon, einem Gebiet nördlich von Tel Aviv, innerhalb Israels. Die Adresse dieses Zwischenhändlers steht dann auf der Packung. Das ist nicht immer Absicht, aber manchmal schon. Bei Wein ist es einfach, da steht drauf, woher er stammt. Bei frischem Gemüse ist es am schwierigsten. Ich selbst versuche möglichst keine Produkte aus den Siedlungen zu kaufen. Aber ich gucke auch nicht jedes Mal so genau hin.

taz am Wochenende

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Die Personen in Ihrem neuen Roman, „Achtzehn Hiebe“, trinken einen Wein aus den Siedlungen, der immer wieder sehr gut gelobt wird. Es ist fast so eine Art Running Gag.

Ja, das ist so ein kleiner satirischer Einschlag im Buch, dass die Personen jedes Mal sagen, oh, der kommt zwar aus den Siedlungen, aber es ist so ein guter Wein! Her damit!

Achtzehn Hiebe“ ist eine Art Krimi mit historischem Hintergrund. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über die Zeit des britischen Mandats in Palästina zu schreiben?

Ich hatte den Wunsch, eine israelisch-britische Geschichte zu schreiben. Das sind die zwei Teile meiner Identität, und diese Dualität wollte ich in mein ­Schreiben einbringen. Die Mandatszeit ist die historische Periode, die sich dafür anbietet. Aber ich wollte von ihr aus der Gegenwartsperspektive erzählen. Mir gefällt der Gedanke, dass unter uns immer noch Menschen sind, die damals gelebt haben, die diese Erinnerungen in ihren lebenden Körpern tragen. Ich wollte, dass die Geschichte von alten Menschen handelt, die damals jung waren.

Über Menschen zu schreiben, die jetzt alt und Zeitzeugen für frühere Geschehnisse sind, hätte ja auch bedeuten können, über Holocaust-Überlebende zu schreiben.

Das gibt es natürlich sehr oft, und natürlich ist das sehr wichtig. Aber es ist nicht mein Thema. Ich habe zur Holocaust-Thematik keine starke Beziehung. Meine Eltern waren damals in England, sie haben nicht direkt unter der Judenverfolgung gelitten. Ohne den Holocaust wären sie zwar keine Zionisten geworden, hätten sich nie getroffen, und ich würde jetzt gar nicht existieren, aber trotzdem. Ich bin nicht mit diesen Geschichten, in dieser Atmosphäre aufgewachsen. Ich kannte das allerdings über Freunde, bei anderen Familien. Und natürlich wird es immer wieder hochgekocht, besonders von Netanjahu.

Der das Thema gezielt politisch nutzt?

Oh ja, ständig. Um Ängste zu schüren und Israel in der Opferrolle darzustellen.

Wie sehen Sie die politische Zukunft Israels?

Natürlich mache ich mir Sorgen. Vor allem über die Gegenwart, die furchtbar ist. Ich möchte gern glauben, dass es unmöglich ist, einen solchen Zustand wie den jetzigen – die Besatzung zum Beispiel – noch sehr viel länger aufrechtzuerhalten. Aber das ist sehr schwer vorauszusagen. Wir haben eine gefährliche Regierung, aber gleichzeitig haben die Leute nicht das dringende Bedürfnis, sie abzuwählen, weil sie gerade in relativ großer Sicherheit leben – und in relativ großem Wohlstand. Es ist eine merkwürdige Situation. Wir Linken haben das Gefühl, wir rufen ins Leere, und niemand hört zu. Wir halten die Besatzung für falsch, wir halten die Art, wie man Flüchtlinge behandelt, für falsch. Aber die meisten Leute haben mit alldem kein größeres Problem, und das ist beängstigend.

Ist die Wahrnehmung richtig, dass die israelische Linke an gesellschaftlichem Einfluss verliert?

Ja, wir werden weniger. Und im großen Spiel mit der politischen Macht gibt es niemanden mehr, der eine echte Alternative anbieten würde. Die Labour Party ist keine Alternative mehr zu Netanjahu. Und die Parteien der Mitte unterstützen ihn.

In Berlin hat sich in den eine Art israelischer Community gebildet. Meinen Sie, dass manche Leute auch aus politischer Frustration auswandern?

Das ist wahrscheinlich eine Minderheit. Ich glaube, die meisten gehen nach Berlin, weil es billiger ist. Außerdem ist die Atmosphäre ziemlich freundlich. Die Deutschen sind nett zu Israelis, verglichen mit Franzosen oder Briten. Der einzige Ort, wo es wirklich leicht ist, Israeli zu sein, ist New York. New York ist sehr jüdisch, man fühlt sich dort zu Hause. Aber danach kommt gleich Berlin. Es ist hier viel offener als in anderen europäischen Ländern. Was Sie vorhin über den Boykott sagten, ist ein Beispiel: dass es hierzulande kontrovers ist, auch nur das Westjordanland zu boykottieren. In Frankreich oder England hat man damit kein Problem.

Haben Sie selbst schon dar­über nachgedacht, wie es wäre, dauerhaft anderswo zu leben?

Oh, ich habe an etlichen Orten gelebt, in England, Amerika, auch ein Jahr in Berlin. Aber ich fühle mich dort nicht zu Hause. Ich habe einen britischen Pass, ich spreche die Sprache, habe Familie dort – und trotzdem. Zu Hause fühle ich mich nur in Israel.

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