Arte-Film über Cybermobbing: Ein bisschen zu viel guter Wille

In „LenaLove“ geht es um die Folgen des Cybermobbings. Doch der Film im Stil einer „Bravo“-Fotolovestory scheitert an seinem Anspruch.

Ein geschminktes Mädchen sitzt vor einer Fototapete mit Waldmotiv. Sie sieht verweint aus

Lena (Emilia Schüle) wird Opfer von Cyber­mobbing Foto: Jürgen Olczyk/ZDF

Vielleicht wird man das Internet irgendwann in der näheren Zukunft abschalten müssen. Wenn wirklich endgültig feststeht, dass Menschen die nötige Reife für den Umgang mit den (sogenannten) sozialen Netzwerken nicht mehr erlangen werden. Einiges deutet derzeit darauf hin.

Zum Beispiel der Mann im Weißen Haus, der die amerikanischen Regierungsgeschäfte möglicherweise nur deshalb per Twitter besorgen darf, weil eine Firma namens Cambridge Analytica seine Wahlkampfmaschine mit den Daten von 87 Millionen arglosen Face­book-Exhibitionisten füttern konnte. Jüngster Aufreger ist gerade die Dating-App Grindr, die auch Daten weitergegeben haben. Unter anderem den HIV-Status ihrer vorwiegend schwulen Nutzer. Welche Folgen das etwa für Nutzer aus den 78 von 193 Mitgliedstaaten der UNO haben kann, in denen Homosexualität unter Strafe steht – nun ja.

Wenn also gestandene Erwachsene über Facebook, WhatsApp oder Instagram ihr Intimstes preisgeben, wie sollen ihre Kinder es dann besser wissen? Bleiben also die Schule und der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinem rührigen Programmauftrag. Letzterer hat zu den Themen Cybermobbing und Cybergrooming immerhin die völlig zu Recht mehrfach Grimme-bepreisten Fernsehfilme „Homevideo“ (2011) und „Das weiße Kaninchen“ (2016) produziert. „Homevideo“ endet hoffnungslos realistisch mit dem Suizid eines traumatisierten Jugendlichen, dessen selbst gefilmtes Masturbationsvideo von Mitschülern gepostet worden war. Anders als bei der Netflix-Serie „13 Reasons Why“ haben Gesundheitsorganisationen keine Bedenken geäußert, dass das suizidale Ende Nachahmer motivieren könnte. Bestimmt haben sich inzwischen zahllose Schulklassen „Homevideo“ mit ihren Lehrern angeguckt.

Lange Vorrede, kurzer Sinn: Dem Film „LenaLove“ – der vor zwei Jahren im Kino lief und jetzt bei Arte gezeigt wird, dringt der gute Wille aus jeder Pore. Und es macht überhaupt keinen Spaß, den (nach „Whole­train“) zweiten Langfilm des Regisseurs Florian Gaag nicht in den höchsten Tönen zu loben.

Freitag, 6. April, 20.15 Uhr, Arte

Lena ist 16 und fühlt sich unverstanden. Mit Skalpell und Klebestift fertigt sie so beängstigende wie künstlerisch wertvolle Collagen. Sie verguckt sich in Tim, der so beängstigende wie künstlerisch wertvolle Monster-Graffiti sprüht. Dass die beiden Außenseiter von zwei der attraktivsten Jungschauspieler des Landes – Emilia Schüle („Ku’damm 56/59“) und Jannik Schümann – gegeben werden, entspricht zwar nicht der Erfahrung. Aber es steigert ihr Identifikationspotenzial. Und dann erweisen sich die Außenseiter ja auch bald als die einzigen Normalen in diesem Film.

Die Nachbarsfamilie ist nämlich komplett verkorkst: vom Vater über die Mutter bis zur Tochter. Der Vater (Felix Schmidt-Knopp) schläft mit Lenas Mutter (Anna Bederke), verspricht ihr, seine Frau zu verlassen, was das armselige Würstchen natürlich nie tun wird. Die betrogene Nachbarin (Sandra Borgmann) – so eine Ironie – schreibt erfolgreich Bücher mit Titeln wie „Die Kunst der Zweisamkeit“, hat aber gerade nichts Besseres zu tun als Lena mit einem Fake-Profil über die sozialen Netzwerke auszuspionieren.

Die Tochter (Kyra Sophia Kahre) ist weniger klug und außerdem eine schlechtere Tänzerin als Lena, ihre „ex bff“, weshalb sie kurzerhand das Fake-Profil von ihrer Mutter übernimmt und Lena damit und mit Drogen in eine böse, böse Falle lockt. Ach so, der Film mit dem dramaturgischen Raffinement einer Bravo-Fotolovestory hatte damit angefangen, dass jemand einen Kleintransporter mit voller Absicht in das Esszimmer der verkorksten Familie fährt. Der Rest ist die Erzählung, wie es dazu kam und warum sie es nicht besser verdient haben.

Ein Film mit dem dramaturgischen Raffinement einer Bravo-Fotolovestory

Das dürfte man so natürlich nicht schreiben, nachdem der „Coming-of-age-Cyber-Thriller“ von der Deutschen Film- und Medienbewertung (mit 4:1 Stimmen) das Prädikat „besonders wertvoll“ bekommen hat und Unterrichtsmaterialien den pädagogischen Einsatz im Schulunterricht ermöglichen: „ab 9. Klasse“ – vielleicht weil auf das vorweggenommene böse Ende dann doch noch ein hoffnungsvolles Ende folgt. Anders als bei „Homevideo“.

Liebe Lehrer, bitte klärt die Heranwachsenden weiter über die Gefahren des Internets auf. Bitte bleibt dafür aber bei „Home­video“!

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