Arte-Fernsehfilm „Das bleibt unter uns“: Tot ist billiger
Eine illegal beschäftigte Reinigungskraft hat in „Das bleibt unter uns“ einen schweren Unfall. Doch ihre bürgerlichen Auftraggeber denken nur ans Geld.
Eine Berliner Bilderbuchfamilie: Früher war er noch als Aktivist und auf Demos unterwegs. Doch inzwischen setzt der Familienvater (Hanno Koffler) sein Engagement in einer Firma fort, die ihren Gewinn mit der Vermarktung von regenerativen Energieprojekten erwirtschaftet. Genug Gewinn für ein großzügiges Townhouse mit noch großzügigerem Puppenhaus für die zwei Töchter.
Die Mutter (Anna Unterberger) holt gerade ihren Master an der Uni nach. Das bisschen Haushalt sorgt dadurch für ein bisschen zu viel Stress. Und der Mann hat auch noch Geburtstag. Bei der Gelegenheit will er die Eingeladenen mit einer gönnerhaften Ansprache auf seinen bevorstehenden Einstieg in die Politik einstimmen. Den Auftritt würde er gerne maximal lässig absolvieren, so à la Robert Habeck, den weißen Hemdkragen offen, dazu das Lieblingssakko – und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Beim Blick auf das Portfolio der Regisseurin Verena S. Freytag wird klar: Die rote Linie in ihrem Schaffen ist das Drama. Denn da ist alles repräsentiert, was das dramatische Gebrauchsfernsehen hierzulande zu bieten hat: von der Soap („GZSZ“) über den Vorabendkrimi („Großstadtrevier“) bis zum Klinik-Genre („In aller Freundschaft“).
„Das bleibt unter uns“, 89 Minuten, Freitag um 20.15 Uhr auf Arte und in der Arte-Mediathek
Außerdem sind da die Filme, die man neben diesen Auftragsarbeiten für ihre Herzensprojekte halten darf: „Karamuk“ (2003), von der Regisseurin noch unter dem Namen Sülbiye Günar gedreht, handelt vom Coming of Age einer Abiturientin, die überraschend erfährt, dass ihr biologischer Vater türkischer Herkunft ist. Und in „Abgebrannt“ (2011) geht es, sehr sozialdramatisch, um eine Weddinger Deutschtürkin mit Dealer-Freund, die um das Sorgerecht für ihre drei Kinder kämpfen muss. Das Thema Migration liegt Verena S. Freytag am Herzen.
Unfall auf dem Weg zur Sakko-Reinigung
In „Das bleibt unter uns“ (Buch: Frauke Hunfeld) muss das Sakko nämlich erst noch aus der Reinigung geholt werden. Die gestressten Eltern haben beide keine Zeit, also wird schnell die – natürlich „schwarz“ beschäftige – moldawische Putzfrau geschickt. Dumm nur, dass die auf dem Weg zur Reinigung einen Unfall hat und fortan komatös in der Klinik liegt. Dumm auch, dass sie am Morgen ihre kleine Tochter mit ins Townhouse gebracht hatte – was erst nach der (ohne Sakko gefeierten) Geburtstagsparty auffällt. Dumm vor allem: Die befreundete Anwältin (Britta Hammelstein) muss es der Mutter erst erklären: „Jana. Wenn die rauskriegen, dass das eure Putzfrau war und die von hier aus losgegangen ist, dann gilt das als Arbeitsunfall. Und dann haftet ihr!“
Die Anwältin, bei der sie übrigens auch geputzt hat, sieht das ganz sachlich: „Wenn sie überlebt und womöglich ein Pflegefall wird, dann … kann das sehr teuer für euch werden. Tot ist billiger.“
Und dann ist da noch das achtjährige Mädchen, das kein Wort Deutsch spricht. Das Jugendamt kann man nicht verständigen. Was nun? In der Bilderbuchfamilie ist man sich uneins:
Er: „Du willst sie hierbehalten.“
Sie: „Solange wir nicht wissen, was mit Natalia ist, ist das doch unsere Pflicht.“
Er: „Das ist illegal.“
Sie: „Kein Mensch ist illegal. Das stand doch mal auf euren Plakaten.“
Der Konflikt wird in Wohlgefallen aufgelöst
Wenn der Film in der Folge die Lebenslügen und Bigotterie des Bionade-Biedermeiers ausstellt, dann erreicht er in seinen besten Momenten Chabrol’sches Niveau. Die Mutter kommt deutlich besser weg als der Vater, bei dem es erst „Klick“ macht, als er seine Wahlkampfprosa in eine Fernsehkamera spricht: „Ich steh’ für Diversität und soziale Gerechtigkeit … Ich persönlich bin sehr dafür, dass wir diejenigen wieder mehr in den Fokus rücken, die Hilfe und Unterstützung brauchen.“
Da versagt ihm plötzlich die Stimme. Und es zeigt sich, dass man mit der Chabrol-Fährte doch auf dem Holzweg war. „Das bleibt unter uns“ ist gar keine bitterböse Gesellschaftssatire, sondern eher eine Art Entwicklungsroman, Untergattung: Erziehungsroman. Die bürgerlichen Eltern müssen ein bisschen Lehrgeld bezahlen, auch buchstäblich, aber Verena S. Freytag und ihre Drehbuchautorin bringen es schließlich doch noch fertig, den ganzen sorgsam ausgebreiteten Konflikt auf den letzten Metern in Wohlgefallen aufzulösen. Hoffentlich erst auf den Druck irgendeines übermächtigen Fernsehspielredakteurs und nicht aus eigenem Antrieb.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern