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Armuts- und ReichtumsberichtKränkende Schönfärberei

Die Regierung hat den Armutsbericht aufgehübscht: Kritische Sätze zur Ungerechtigkeit wurden gestrichen. Wie aber gelangt Erkenntnis zur Politik?

Häufig prekär: Frisuren und Bezahlung. Bild: dapd

Kleiner Formulierungsvorschlag: Warum fasst man den Armuts- und Reichtumsbericht nicht etwas knapper und schreibt: „Alles prima“? Das würde 500 Seiten Papier sparen und gäbe ein flüssig zu verwendendes Zitat für die Medien her.

Okay, mancher Wahlbürger fühlt sich dann vielleicht – sagen wir: verhöhnt. Dank der Süddeutschen Zeitung ist nun aber ein hübscher Vergleich zwischen dem Armutsbericht bekannt geworden, wie er im September das Ministerium von Ursula von der Leyen (CDU) verließ – und dem Armutsbericht, wie er nun nach Überarbeitung durch den Rest der Bundesregierung aussieht.

Siehe da: Der Entwurf ist ein wenig kürzer geworden. Stand zuletzt noch im Entwurf: „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“ (Seite IX, Einleitung), fehlt dieser Satz jetzt komplett. Auch der Umstand, dass die Einkommensspreizung „das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung“ verletze und „den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden“ könne (Seite XX), war offenbar überflüssig.

Nicht nur Wertungen, auch Zahlen mussten dran glauben. „Allerdings arbeiteten im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro“, stand früher auf Seite XIX. Jetzt nicht mehr. Was sollen dazu die Sozialverbände sagen? Ihnen wird der Bericht vorgelegt, bevor er vom Kabinett verabschiedet und durch den Bundestag gereicht wird, laut Plan noch dieses Jahr.

Stark gewachsene Ungleichheit

Muss man einen Bericht noch ernst nehmen, der um genau die Anteile entschärft wurde, die eine Debatte über die so stark gewachsene Ungleichheit in Deutschland befördern würden?

Aber ja – eben als genau das, was er ist: ein Dokument, das die Leistungen und Wohltaten der jeweils regierenden Koalition besingt und das von niemandem als Beitrag zur Wahrheitsfindung verstanden werden braucht. Das ist übrigens mit den anderen Regierungsberichten über Kinder und Jugend, über die Alten und das Altwerden und so weiter ganz genauso.

Bedauernswert sind dabei allerdings die Wissenschaftler, die sich immer so freuen, wenn eine Bundesregierung anruft und sagt: „Bitte trage uns deine schönsten Statistiken für den Regierungsbericht zusammen, und dein Stern wird niemals untergehen.“ Welcher Forscher wünscht sich nicht, dass seine handverlesenen Daten, seine rasant geschwungenen Grafiken eines Tages in Politik münden?

Dann aber passiert Politik tatsächlich. All das wertvolle Material gerinnt zu einer Fußnote. Es wird womöglich im falschen Kontext verwendet. Es spielt ganz und gar überhaupt nicht mehr die zugedachte Rolle.

Unabhängige Sachverständige notwendig

„Natürlich ist der Wissenschaftler dann gekränkt“, sagt Gert G. Wagner. Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung berät seit vielen Jahren in Räten und Kommissionen alle möglichen Regierungen. „Aber ich habe dazugelernt“, erzählt er. „Die Kränkung ist irrelevant.“ Es sei „das gute Recht einer Regierung, sich abzustimmen“ – und nur Papiere mit eigenem Gepräge herauszugeben. „Der Webfehler ist doch“, sagt Wagner, „dass die Regierung an diesen Regierungsberichten festhält.“ Dabei seien unabhängige Sachverständige geeigneter, um einen Erkenntnisstand zu bündeln, der als Grundlage für Politik dienen solle.

Walter Hanesch, Armutsforscher in Darmstadt, war dabei, als 2000 Rot-Grün die Armutsberichterstattung einführte. „Wir haben schon damals kritisiert, dass das Ministeriumsberichte werden sollen“, sagt er. Eigentlich hätten alle außer der Regierung selbst für eine unabhängige Kommission plädiert.

Erfahrene Politikberater wie Wagner und Hanesch wissen: Unabhängige Kommissionen neigen dazu, streng wissenschaftlich, mindestens zwei komplett konträre Vorschläge zu machen. Legendär etwa die Gesundheitsreform-Kombo, die 2003 einerseits die Kopfpauschale, andererseits die Bürgerversicherung forderte. Weshalb selbstverständlich und gewolltermaßen nichts passierte. Ganz zu schweigen von den „Wirtschaftsweisen“, deren Aussagen jedes Jahr so widersprüchlich sind, dass die Regierung ihre Finanzpolitik getrost am jeweiligen Wahlkampf ausrichtet. Womöglich ist die Lücke zwischen Erkenntnis und Handlung nicht durch Berichte zu schließen. Sondern nur durch politischen Willen.

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24 Kommentare

 / 
  • E
    Eulenspiegel

    Dieser Armutsbericht geht ja hauptsächlich von der "Münchhausen-Partei" FDP aus.Und Merkel macht ja das mit,was ihrem 4 % Koalitionspartner helfen könnte.

    Das bisschen Schönfärberei regt ja auch keinen mehr auf. Das Volk weiß schon lange was los ist-nämlich -Lügen mit Zahlen. Auf diesem Gebiet sind sie unschlagbar.Das z.B. die Kosten fürs Soziale steigen,verschweigt aber dass durch die "Versklavung" der Lonabhängigen,die Wirtschaft profitiert und daher mehr Steuern reinkommen. Durch Verarmung von Bevölkerungsschichten macht man auf der einen Seite Gewinne,gibt aber den Sozialschwachen die Schuld an den Kosten die im Sozialen entstehen-weil man seine Hausaufgaben so macht wie sie sind.Ein verlogenes System eben,dass eigentlich die Schuld bei sich suchen müsste. Aber man lügt lieber und betreibt Schönfärberei.

  • N
    noevil

    Warum setzen sich die nationalen Armutsforscher nicht selbst in einer Konferenz zusammen und erstellen einen eigenen unabhängigen Bericht für die Öffentlichkeit, der dann selbstverständlich auch mutige Medien - wie die TAZ - benötigte? Hat das etwa Auswirkungen auf ihr eigenes Fortkommen? Das würde ich ja verstehen.

     

    Aber geballte anerkannte Fachkompetenz würde als Gegenpol zu einer Regierung, die sich in die eigene Tasche lügt, zumindest die unbequeme Wahrheit einigermaßen glaubwürdig und transparent gegenüberstellen. Und wer weiss, wenn sich Courage immer positiver im Meinungsbild niederschlägt, würden sie eventuell sogar davon profitieren, wenn ihre ungeschminkten Berichte mehr und mehr in den Fokus der an Tatsachen interessierten Öffentlichkeit gerieten und die offiziellen "Berichte" korrigierten.

     

    Ich denke, insgesamt sollte sich jeder Leser weitaus mehr als bisher für Namen und Zusammensetzung der Verfassergremien solcher Berichte interessieren.

     

    Tröstlich, dass die Diskrepanzen zumindest allmählich mehr und mehr in die Öffentlichkeit gelangen.

  • N
    Nordwinf

    Und da dachte man immer so etwas hätte sich der Oewell nur ausgedacht.

     

    Da hat die befreite Uckermarksche Trottellume namens IM Erika wohl doch zu lange als Sekretärin für Propaganda und Agitation gearbeitet. Ist wohl einiges in den Charakter durchgesickert. Oder muss man diese Deformation für den Einsatz im Wahrheitsministerium schon als natürliche Anlage mitbringen.

  • R
    Rollgardina

    Gekränkt dürfen sich vor allen diejenigen fühlen , deren Not , deren fehlende Perseptiven mit einem Federstrich unsichtbar gemacht werden. diese Regierung leidet unter kollektivem Magischem Denken . Wenn man vor den Armen die Augen verschließt , sind sie ja offensichtlich (!) nicht mehr da . Na sowas !

  • JA
    Juergen Arne Klein

    Es wird wirklich allerhöchste Zeit, dass diese Bundesregierung ihren Hut nimmt. #fail

  • WB
    Wolfgang Banse

    Nicht über Armut in Deutschland reden,sondern diese beheben.

  • P
    Patryk

    Ich schließe mich Mateusz an. Dennoch sollten derlei Untersuchungen von unabhängigen Instituten geführt und publiziert werden, um nicht Gefahr zu laufen, für politische Zwecke missbraucht zu werden.

  • GD
    Goldman der Sachs

    AN POPPER, Ihre arrogante Verachtung gegen "Geldlose" kotzt mich an!

     

    Von was für einem Kommunismus schreiben Sie hier?

    Sie bezeichnen wohl den diktatorischen Kapital-Faschismus Chinas auch als Kommunismus! Schon mal Marx Engels e.t.c. gelesen?

     

    Wie wäre es, wenn alle etwa gleich REICH wären?

    Soll auch jeder seinen Porsche haben, und von mir aus sollen manche auch 10 Porsche haben, wegen der "Leistung", aber auf jeden Fall jeder Einen!

     

    Wenn es wenigstens um Leistung ginge, aber die "Geldreichen" meinen damit "mach Geld, mach mehr Geld, mach noch mehr Geld".Wer dabei auf der Strecke bleibt, hat eben Pech gehabt, ist es das was Sie wollen?

     

    Armut in Deutschland heißt hungern, ist es das was Sie wollen?

     

    Und jetzt?

  • D
    datenschutz

    @ Branko:

     

    Nicht dass ich widerspreche, aber auf welcher Seite sind jetzt die Kurzstreckendenker zu finden?

     

    So dumm wie scheinbar oft angenommen sind die Machthaber nicht -- allerdings wohl sehr gewissen- und skrupellos.

     

    http://www.heise.de/tp/artikel/38/38086/1.html

    https://de.wikipedia.org/wiki/Eurogendfor

    http://www.heise.de/tp/artikel/31/31626/1.html

     

    Dazu passt der Vertrag von Lissabon.

  • O
    Ott-one

    Eine schallende Ohrfeige für den Souverän!

    Wieder wurde auch dieser Bericht passend gemacht.

    Unglaubwürdiger geht es nicht mehr.

    Auch im 21.Jahrhundert darf man den Bürger nicht für blöd verkaufen!

  • B
    broxx

    Armutsbericht-lächerlich. Sucht euch ne anständige Arbeit, die wird auch gut bezahlt. Wer unter 100000€/Jahr nach hause geht hat selbst Schuld! Ist aber mit nem Sozial"beruf" nicht zu schaffen...

  • F
    FreeSpeech

    @Mateusz:

    "Das sind alles wertende Formulierungen, die zu den Ergebnissen nicht passen. Es richtig, dass diese gestrichen wurden."

    LOL

    Welche anderen Ergebnisse haben sie denn, damit die Formulierungen passen würden?

    Vielleicht ergeben sich ja durch ihre Erkenntnisse völlig neue Möglichkeiten für die Deutschen, der besten Regierung seit der Wiedervereinigung zuzujubeln?

  • B
    Branko

    Papperlap!

     

    Wenn erstmal die Kriminalitätsrate kräftig angestiegen ist, können die rechtskonservativen Kurzstreckendenker wieder mit "mehr Polizei!" Stimmen minderbelichteter Wähler ködern, die ohnehin weder raffen, daß Polizei die Probleme nicht löst, noch daß die Polizei ohnehin auf massivem Sparkurs läuft - und weiterlaufen wird (mit Ausnahme von der Anschaffung neuer Wasserwerfer gegen Politterroristen, versteht sich).

     

    Als Ergebnis steigt dann auch die Korruption - was nicht nur die Befürworter der neoliberalen Monetakratie begrüssen dürften.

    Immerhin erzeugt diese - dann sehr nachhaltige - Gesellschaftform schließlich dieses ungemein wohlstands- und sicherheitsfördernde Laissez-faire, wie man es z.B. aus Süditalien oder Lateinamerika kennt.

     

    Drogen werden dann zwar noch illegaler sein als heute, dafür aber reichhaltig gegen eine kleine Sondersteuerabgabe in der Schulkantine genauso verfügbar sein, wie zahlreiche Schusswaffentrainingsangebote privatorganisierter Sicherheitsvereine der örtlichen Gewerbeorganisationen, denen man nicht ans Portemonnaie geht, weil daß das Wirtschaftswachstum gefährden würde.

     

    Immerhin werden die Vertreter dieser Kursrichtung (FDP, CDU/CSU, SPD) seit vierzig Jahren immer wieder gewählt und geradezu panisch an der Macht gehalten.

     

    Und diese reden von Freiheit, wenn sie sich nur noch mit Tempo 20 in festungsgleichen Reichenvierteln bewegen können, weil man ihnen sonst den Porsche genau unter dem Arsch abfackelt, an denen es ihnen vorher vorbeiging.

  • A
    Armutszeugnis

    Der politische Wille geht vom Volk aus.

     

    Die Regierung ist der Diener des Volkes.

     

    Das begreift das Volk nicht und die Regierung sowieswo nicht, braucht sie auch nicht. Es tut ihr ja keiner was.

     

    Solange wir uns dermaßen verar... lassen und gegenseitige Grabenkämpfe führen, Männlein gegen Weiblein, materiell Arm gegen materiell Reich, Inländer gegen Ausländer, Eltern gegen Kinder, Lehrer gegen Eltern, Norm-Menschen gegen solche mit Behinderungen etc. pp.

     

    Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. So steht es im Grundgesetz, wunderbar ausformuliert.

     

    Unsere Regierung verstößt gegen das Grundgesetz.

    Jeder hat das Recht, sich zu verwirklichen.

    Es geht um Wahrheit und Gerechtigkeit.

     

    Aber wie gesagt, solange wir uns dermaßen verar... und gegeneinander aussspielen lasssen, ist der Teufel weiter am Werk und erklärt uns freundlich lächelnd seine Welt.

     

    Dafür besucht er Rhetorik- und Selbstdarstellungs- Kurse, hoch bezahlt und freundlich lächelnd.

     

    Wo, im Armutszeugnis der Regierung, sind die Kosten dafür notiert?

  • S
    Siegfried

    Ich sag doch, wird Zeit das diese Regierung abgewählt wird. Oder sollen wir lieber gleich zurück zur Monarchie? Die Verarsche des Volkes ist da ähnlich gewesen.

    Oder noch einfacher: Wählt das Pack endlich ab. 2013 haben wir die Chance dazu.

  • V
    vic

    "Diese Bundesregierung ist die beste Bundesregierung seit der Wende", sagt Merkel. Und die muss es ja wissen.

  • P
    Popper

    "Eure Armut kotzt mich an!!!"

     

    Ist wahrscheinlich besser, wenn alle gleich arm sind, dann gibts wenigstens keinen Sozialneid mehr.

    Hat aber noch nicht mal im Kommunismus funktioniert.

    Und jetzt?

  • G
    Gunter

    Die Lücke zwischen Erkenntnis und Handlung wie die mittlerweile recht zahme TAZ es nennt ist nicht durch Berichte zu schließen. Sondern nur durch Gewalt eine andere Sprache verstehen die die Macht haben ohnehin nicht mehr.

  • JK
    Juergen K.

    Kann man den Pabst nochmal holen:

     

    der soll ein paar Gebote noch mal vorlesen.

     

    Vielleicht das mit dem Lügen 2 mal !

  • W
    Wolfgang

    Nennen wir das Kind beim Namen: Wir haben es mit einer sozial- und kapitalfaschistischen Bundesregierung und Parlamentsmehrheit in Deutschland 2012 zu tun! Ein ideologisch-gesellschaftspolitisches Organ der ausschließlichen wirtschaftspolitischen Interessen der Bourgeoisie und Aktionäre - der Finanz- und Monopolbourgeoisie in Deutschland! Wir befinden uns im staatsmonopolistischen Imperialismus!

  • JK
    Juergen K.

    Die Hartz4 Referenzgruppe ist also endgültig so gross,

    dass man mit oder ohne Hartz4 Hartz4 bekommt ?

     

    Und wenn man noch kein Hartz4 bekommt, bekommt man es auch schon ?

     

    Und die "gesellschaftliche Entwicklung" ist endgültig von Hartz4 losgelöst ?

     

    Na, das hätte ich schon geahnt. Aber das man dafür extra einen Text schreibt.

     

    ------

     

    Erbarmt sich jemand des gesellschaftlich relevanten LEAKS ?

  • A
    anke

    Womöglich ist die Lücke zwischen Erkenntnis und Handlung überhaupt nicht zu schließen. Politik ist nämlich Interessenvetretung. Wo die Interessen so verschieden sind, wie hier und heute, darf es die jeweilige Regierung mit der Wahrheit nicht all zu genau nehmen. Sonst müsste sie glatt an sich selbst verzweifeln...

  • M
    Mateusz

    Das sind alles wertende Formulierungen, die zu den Ergebnissen nicht passen. Es richtig, dass diese gestrichen wurden.

  • SP
    Sabine P.

    Na, wie hört sich denn diese leichte Änderung an?

    Kritische Sätze von Kommentatoren zu Ungereimtheiten in der taz werden gestrichen. Wie aber gelangt Erkenntnis zur taz?

     

    Auch zu diesem Artikel soll es keinen einzigen Kommentar geben? Einfach grotesk!