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Armut in DeutschlandKein Herz für Kinder

Die Politik nimmt Armut nicht ernst, kritisiert die Nationale Armutskonferenz. Vor allem Kinder und Alleinerziehende seien Leidtragende.

Neue Schuhe sind oft Luxus: Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen. Das ist politisch geduldet, kritisiert die Nationale Armutskonferenz. Foto: ap

Berlin taz | Am Ende trifft es immer die Schwachen. Und die Politik schaut weg. Diesen Vorwurf erhebt die Nationale Armutskonferenz (NAK), ein Zusammenschluss unterschiedlicher Wohlfahrtsverbände wie Caritas und der Arbeiterwohlfahrt, in einem neuen Bericht zur Armut in Deutschland. Er trägt den Titel „Zehn Jahre Hartz IV - zehn verlorene Jahre“.

Um Hartz IV geht es allerdings eher nebenbei. Dessen Einführung zum 1. Januar 2005 liegt schon beinahe elf Jahre zurück. Auch hatte die NAK bereits 2012 einen Bericht vorgelegt, der Armut als „politisch gewollt“ anprangerte. Diesmal ist die Rhetorik nicht ganz so scharf. Der Vorwurf wiegt gleichwohl schwer: Die Politik nehme Armut und soziale Ausgrenzung als „fast schon unabänderlich“ hin, anstatt die nötige Entschiedenheit an den Tag zu legen.

Daher sieht das Bündnis die Notwendigkeit, erneut ein entsprechendes Papier zu veröffentlichen. Die Frage, ob auch die steigende Zuwanderung Anlass gegeben habe, weist man zurück: Auf keinen Fall sollten von Armut betroffene Menschen gegeneinander ausgespielt werden.

Die NAK will vor allem auf die Situation der von Armut betroffenen Kinder aufmerksam machen. In Deutschland lebt inzwischen jedes fünfte in einer Familie, in der „am Ende des Geldes noch Monat übrig ist“. In diesen Umständen sieht NAK-Sprecher Frank Johannes Hensel den Beginn einer Abwärtsspirale: „Klar kann man das überleben, aber dieses Nicht-dabei-sein-können von klein an wird für die meisten ein Leben lang anhalten.“

Alleinerziehende haben es schwer

Kinderarmut hänge außerdem mit der schwierigen finanziellen Situation vieler Alleinerziehender eng zusammen, sagt die Co-Autorin des Berichts Anne Lenze (Hochschule Darmstadt). Etwa die Hälfte der von Armut betroffenen Kinder lebten bei alleinerziehenden Elternteilen.

Zwar seien immer mehr Alleinerziehende in Deutschland erwerbstätig. Um mit Kind über die Runden zu kommen, reiche das aber oft nicht - trotz der Einführung des Mindestlohns. So müssten viele mit Hartz IV aufstocken - oft über einen langen Zeitraum. Lenze sieht die Ursachen dafür ausgerechnet in einer Kombination unterschiedlicher Sozialleistungen, die eigentlich helfen sollen, aus dem Hartz-IV-Bezug herauszukommen.

So müssten Kinderzuschlag, Wohngeld und Unterhaltsvorschüsse bei unterschiedlichen Stellen beauftragt und verschiedene Anrechnungsregelungen berücksichtigt werden. Zudem müssten Alleinerziehende sehr viel mehr als kinderlose Singles oder Familien erwirtschaften, um den Hartz-IV-Bezug zu verlassen.

Mehr als die Hälfte der unterhaltsberechtigten Kinder in Deutschland erhalte außerdem gar keinen Unterhalt. Der Unterhaltsvorschuss, der dieses Problem abfedern sollte, erreiche aber nur ein Viertel dieser Kinder. Die Leistung solle deshalb unbegrenzt anstatt wie zur Zeit nur auf sechs Jahre beschränkt gewährt werden, fordert das Bündnis.

Erbschaftssteuer als Soli-Beitrag?

Aber nicht nicht nur Kinder und ihre Eltern leiden unter Armut und fehlender Teilhabe. Auch - und hier kommt Hartz IV tatsächlich direkt ins Spiel - würden immer mehr Sozialhilfeempfänger zu Schuldnern bei Jobcentern. Denn: Größere und gleichzeitig dringende Anschaffungen wie ein neuer Kühlschrank seien mit dem derzeitigen Hartz-IV-Regelsatz nicht zu leisten.

Eine mögliche Lösung sieht die NAK in der Erhöhung der Erbschaftssteuer. Von den im letzten Jahr in Deutschland vererbten und verschenkten 108,8 Milliarden Euro seien nur etwa fünf Prozent als Steuern beim Staat angekommen. Gäbe es stattdessen eine zweckgebundene Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung, meint die Konferenz, könnte das die steigende Armut mindern.

Ein viel grundsätzlicheres Problem lässt sich aber nicht so leicht beheben. Viele Menschen in Deutschland wollten sich mit dem Thema Armut schlicht nicht beschäftigen, beklagt Hensel: „Die da unten können im Schatten bleiben und werden dafür auch noch als sozial schwach bezeichnet.“

Immerhin: Der Bundesrat stimmte am Freitag einer Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze zu. Für Kinder bis 14 Jahren soll es 2016 drei Euro mehr geben, für alleinstehende Erwachsene fünf Euro. Opposition und Sozialverbände haben die Erhöhung bereits als zu gering kritisiert.

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8 Kommentare

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  • Der Armutsbericht der Bundesregierung von 2014 über Kinderarmut: "Die Kinderarmut bleibt in Deutschland weiterhin auf sehr hohem Niveau. Die Armutsquote der Minderjährigen ist von 2012 auf 2013 gleich um 0,7 Prozentpunkte auf 19,2 Prozent gestiegen und bekleidet damit den höchsten Wert seit 2006. Die Hartz-IV-Quote der bis 15-Jährigen ist nach einem stetigem Rückgang seit 2007 in 2014 ebenfalls erstmalig wieder angestiegen und liegt mit 15,5 Prozent nun nach wie vor über dem Wert von 2005, dem Jahr, in dem Hartz IV eingeführt wurde."

     

    Wir haben momentan 5 Millionen Hartz IV Empfänger, wovon 1,6 Millionen Kinder sind. Diese Zahl (sowohl der erwachsenen Hartz IV Empfänger wie auch der Hartz IV Kinder) wird in den nächsten Jahren sicherlich ansteigen. Schon 2009 hat der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Butterwegge in einem Aufsatz über "Kinderarmut in einem reichen Land" die Zahl der Kinder, die auf Sozialhilfeniveau angewiesen sind, eher bei 2,8 Millionen gesehen. Das der Armutsbericht der Bundesregierung von 2014 nicht ganz der Realität entspricht, haben ja schon viele angemahnt, aber wenigstens gibt die Bundesregierung die ausufernde Armut in diesem Land zu, auch wenn sie dann anschließend nichts dagegen unternimmt.

     

    "Für Kinder bis 14 Jahren soll es 2016 drei Euro mehr geben, für alleinstehende Erwachsene fünf Euro." - Also, 3 bis 4 Tüten Gummibären für die Kinder und 5 Tafeln Schokolade für die Erwachsenen. Na, wenn das keine Erhöhung der Lebensqualität für Hartz IV Empfänger ist. Was bekommen noch einmal die Abgeordneten, die sich immer noch weigern dieses menschenverachtende Hartz IV wieder abzuschaffen? Ach ja, 9082 Euro Grundgehalt (Diäten).

  • Erhöhung von Transferleistungen wird immer nur der Tropfen auf dem heißen Stein sein, solange das Lohnabstandsgebot die Niedriglöhne in D zur Bemessung hernehmen muss.

    Alleinerziehende werden das Kind weiter als Handicap erleben, wenn diese bspw. in Bewerbungen das Kind ohne den Zusatz: "die Betreuung ist im Krankheitsfall gesichert" angeben.

    Es ist ein gewaltiger Systemfehler, den man mit winzigen Stellschrauben nicht korrigieren kann.

  • Ist HARTZ IV die Armut per Gesetz

     

    Im Ersten wurde eine sehr gute Sendung dazu gezeigt, auf Youtube noch zu finden.

    https://www.youtube.com/watch?v=Huocs-HLWmw

     

    Einiges Zusammengefasst:

     

    1. Eine mutter mit einem kleinen Kind wird ausspioniert,

    2. Illegale Beschaffung des Eintritts in die Wohnung, als ein minderjähriges Mädchen zu Hause allein ist (§ 123 StGB, Hausfriedensbruch)

    3. Geldverschwendungen in Millionen Höhe durch nutzlose HARTZ IV Maßnahmen

    4. Vernichtung von sozialabgabenpflichtigen Arbeitsplätzen durch kostenlose Praktika

     

    Durch HARTZ IV wurde der Niedriglohnsektor ausgeweitet.

     

    Fazit: Die Politiker wollten mit HARTZ IV die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Die Jobcenter setzen die Reformen dagegen oft falsch um. Die Statistiken zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit werden an Universitäten sehr kritisch betrachtet. Denn oft werden die Aufstocker, Teilnehmer an Praktika, Umschulungen und sonstigen Maßnahmen als "Nicht-Arbeitslose" erfasst.

  • Eine mögliche Lösung sieht die NAK in der Erhöhung der Erbschaftssteuer.

     

    Eine gute Lösung.

     

    Es gibt eine weitere die in bestimmten Fachkreisen ganz oben (nicht Politiker) inoffiziell diskutiert wurde.

     

    Verwaltungskosten in deutschen Jobcentern: Arbeitsministerium ist von der Erfassung des Chaos selbst überfordert

    Die deutschen Jobcenter sind gerade dabei, sich zu einem einzigen Selbstverwaltungsmoloch zu entwickeln. Schon in der jüngeren Vergangenheit gaben sie mehr als doppelt so viel Geld für die eigene Verwaltung als für die Eingliederung der eigentlichen Kunden(arbeitslosen Menschen) aus.

    http://www.l-iz.de/Politik/Kassensturz/2013/11/Verwaltungskosten-in-deutschen-Jobcentern-52092.html

     

    Daraufhin kann gern nachgerechnet werden, dass es sehr viel billiger (Millionen von Steuergeldern) für Deutschland wäre, die Jobcenter zu schließen und das Geld den Bedürftigen einfach auszuzahlen. Agentur für Arbeit kann die wenigen Verwaltungstätigkeiten und Maßnahmen zur Wiedereingliederung, die wirklich notwendig sind, übernehmen.

     

    Zudem verbrauchen die Jobcenter zusätzlich sehr viel an Steuergelder bei Gerichtsverfahren gegen arbeitslose Menschen. Die Erfolgsquote der richterlichen Entscheidungen liegt bei ca. 50% zu Gunsten der arbeitslosen Menschen.

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/bilanz-am-sozialgericht-berlin-alle-24-minuten-eine-hartz-iv-klage/11228222.html

  • "Immerhin: Der Bundesrat stimmte am Freitag einer Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze zu. Für Kinder bis 14 Jahren soll es 2016 drei Euro mehr geben, für alleinstehende Erwachsene fünf Euro. Opposition und Sozialverbände haben die Erhöhung bereits als zu gering kritisiert".

     

    Die zu erwartende Inflationsrate in 2016 beträgt 1,1%. Somit liegt die Erhöhung von 5 € lediglich bei 61 Cent - bereinigt um die Inflationsrate!

  • Die Bundeskanzlerin wurde für ihre menschenfreundliche Asylpolitik kritisiert. Einige Politiker sollen einen Einwand eingebracht haben, dass es Menschen in Deutschland, die hier leben, schlecht geht und für die muss man zuerst sorgen. Nun wurde die Asylpolitik verschärft. Jetzt können diese Kritiker danach gefragt werden, was sie für die Menschen, die in unserem Land bereits leben, tuen wollen. Gerade arbeitslose Menschen und insbesondere deren Kinder brauchen mehr Hilfe. Zum Beispiel könnten Sanktionen, die schon sowieso per Grundgesetz nach Art. 1 in Verbindung mit dem Artikel 20 verfassungswidrig sind, abgeschafft werden.

  • "Warum soll etwas für eine Bevölkerungsschicht getan werden, die einen sowieso nicht wählt?" Das ist das Credo der marktkonformen Demokratie. So hatte man damals die Aussiedler umworben, weil die Mütterchen jeden Tag auf den Knien Herrn Dr. Kohl dankten, dass er sie vom Kommunismus erlöste und ihnen das Sozialamt schenkte. 1994 wählten die Ostdeutschen die CDU/CSU, weil ihnen blühende Landschaften versprochen wurden. Der Klatschmohn blüht noch immer auf den Industriebrachen.

     

    Diese Form der Lateinamerikanisierung benötigt einen gewissen Bodensatz an Armut als Erpressungspotential. Der CDU/CSU sind die Flüchtlinge deshalb nur willkommen, solange sie dadurch zwei Armutsbevölkerungen aufeinander hetzen kann, was der Partei die Macht sichert. Die Äußerungen eines Jens Spahn zeigen dies deutlich.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "...Auch hatte die NAK bereits 2012 einen Bericht vorgelegt, der Armut als „politisch gewollt“ anprangerte. Diesmal ist die Rhetorik nicht ganz so scharf."

     

    Sollte sie aber sein. Die Armut ist politisch gewollt. Gewollt ist auch deren Wegdefinieren und mediale Begrenzung auf Selbstverschuldung oder wirtschaftliche Minderwertigkeit.