Argentiniens neues Abtreibungsgesetz: Mutige Entscheidung
Auch den Abtreibungsgegner*innen mag es um eine humanere Gesellschaft gehen. Die darf aber nicht nur den Frauen aufgebürdet werden.
M an möchte der Mitte-links-Regierung Fernández in Argentinien zu ihrem Mut gratulieren. Im zweitgrößten Land Südamerikas tritt nun ein Gesetz in Kraft, das es Frauen ermöglicht, bis zur 14. Schwangerschaftswoche abzutreiben – bei Übernahme der Arztkosten, was nicht unerheblich ist. Denn nicht nur restriktive Gesetze, auch finanzielle Schwierigkeiten zwingen jährlich zehntausende vor allem ärmere Frauen dazu, Abtreibungen illegal und unter prekären Umständen vornehmen zu lassen. Somit rettet das von der grünen Bewegung hart erkämpfte Gesetz vielen Frauen nicht nur Gesundheit und Leben. Es bewahrt sie auch vor dem Gefängnis.
Mutig war es trotzdem, denn im katholisch geprägten Argentinien ist die Mehrheit für das neue Gesetz so eindeutig nicht. Die Regierung verprellt damit rund 50 Prozent der Bevölkerung. Grund genug, sich frei von ideologischer Empörung mit einigen Argumenten auseinanderzusetzen.
Argentinien ist wie kein anderes Land Lateinamerikas von jeher gespalten in eine eher liberale Stadtbevökerung und in eine konservativ-katholische Landbevölkerung. Für viele Gegner*innen des Abtreibungsgesetzes besteht die grüne Bewegung aus privilegierten Mittel- und Oberschichtsangehörigen, die aus egoistischen Motiven handeln und den Willen der Landbevölkerung gering schätzen.
Die Realität zeigt aber, dass es vor allem arme Frauen vom Land sind, die bei einer ungewollten Schwangerschaft zu illegalen Methoden greifen müssen. Andere beklagen in christlicher Tradition, dass das Recht auf Abtreibung die Integration behinderter Menschen torpedieren würde. Der Verdacht: Frauen, die ein Kind mit Behinderung nicht austragen wollten, selektierten lebenswertes und lebensunwertes Leben.
Man mag den Gegner*innen der Wahlfreiheit zugutehalten, dass es ihnen teils auch um eine humanere, empathischere Gesellschaft geht. Doch genau dieses Projekt darf nicht immer wieder allein den Frauen aufgebürdet werden. Das zu verlangen ist ebenso inhuman, empathielos und letztlich unchristlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt