Argentiniens WM-Aus: „Bloß kein Debakel“

Der Vizeweltmeister von 2014 ist ausgeschieden. Die argentinischen Fans in Buenos Aires litten und hofften, doch das 4:3 stimmte sie versöhnlich.

Fußball Fans in Buenos Aires schauen auf den Plaza San Martin Fußball

Fans in Buenos Aires verfolgen im kalten Winternebel das WM-Aus von Argentinien Foto: Reuters

BUENOS AIRES taz | Public Viewing, Achtelfinale Argentinien gegen Frankreich. Dichter Nebel war am Samstagmorgen vom Río de la Plata in den Stadtteil Retiro von Buenos Aires gezogen. Die milchigen Schwaden kontrastieren die sonnendurchfluteten Bilder, die aus dem russischen Kasan über den Großbildschirm flimmern. Beide Mannschaften haben bereits Aufstellung genommen.

Auf dem abschüssigen Hang in Retiro ist der Rasen gut besetzt. Hoffen und Bangen sind spürbar. „Zum Glück können alle sitzen. Den meisten hier schlottern die Knie,“ sagt Ernesto Vagner. Der 79-jährige Rentner hat es sich auf seinem mitgebrachten Stuhl bequem gemacht. „Ich komme nicht mehr so gut hoch. So wie Maradona,“ lacht er kurz und wird ernst: „Hoffentlich liefern die Jungs heute was Ordentliches ab.“

Ängstliches Raunen bei den schnellen französischen Stürmern. Erlöstes Aufatmen wenn sie von argentinischen Abwehrspielern gestoppt werden. In der 13. Minute regelwidrig, Antoine Griezman verwandelt den Elfmeter. Verhaltene Enttäuschung, das Befürchtete nimmt seinen Lauf. „Bloß kein Debakel,“ seufzt Ernesto noch. Und dann, wie aus dem Nichts schießt Ángel di María den Ausgleich. Jubel, Erleichterung, doch kein Debakel?

In der Pause wird nochmal die Vorrunde analysiert: das verkorkste Unentschieden gegen Island, das Desaster gegen Kroatien und die gerade noch Rettung gegen Nigeria. „Gute Einzelspieler aber keine Mannschaft,“ meint einer. „Kein Plan, keine Strategie und das alles auf Messi aufgebaut,“ meint ein anderer. „Stellt der Trainer die Spieler auf oder die Spieler den Trainer?“, fragt einer.

Nicht das schönste, aber das wichtigste Tor

1986 hatte Argentinien letztmals den Titel geholt. Mit Diego Maradona gegen die Deutschen. Und dann erzählt Ernesto, ein Reporter habe Maradona nach dem Unentschieden gegen Island gefragt, wie er, Maradona, mit seiner Weltmeisterelf von 1986 gegen die Isländer gespielt hätte. Wir hätten 1:0 gewonnen, habe Maradona geantwortet. Worauf der Reporter verwundert nachfragte, warum nur 1:0? Naja, habe Diego geantwortet, wir sind ja schon alle um die 60 Jahre alt.

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Die zweite Halbzeit läuft: Messi schießt, Mercado fälscht ab, Argentinien geht in Führung. Ernesto springt aus seinem Klappstuhl. Jubel, Umarmungen, Böllerschüsse, Hoffnung keimt auf. „Jetzt bloß ruhig bleiben,“ sagt Ernesto noch. Dann kommen die elf Minuten der Franzosen, dreifach zugeschlagen, dreifaches Entsetzen, das Spiel gedreht. Schockstille. Der kalte Winternebel ist auf einmal zu spüren. „4:2, das war´s.“ Ernesto hat feuchte Augen.

„Der Kun kommt,“ ruft einer. Mit Sergio „Kun“ Agüero wird noch ein weiterer Stürmer eingewechselt. Beifall wird geklatscht, den Kun mögen alle. Er hat das erste WM-Tor gegen Island geschossen und er wird in der dritten Minute der Nachspielzeit das letzte Tor für Argentinien bei dieser WM schießen. Nicht das Schönste, aber vielleicht das Wichtigste. „Das 4:3 hat uns mit der Mannschaft versöhnt,“ sagt Ernesto.

Das Spiel ist zu Ende. Der Vizeweltmeister von 2014 ist ausgeschieden. Der Hang in Retiro leert sich. Auf dem Großbildschirm steht ein einsamer Lionel Messi im Stadion von Kasan. „Vielleicht war das meine letzte WM,“ sagt Ernesto. „In meinem Alter weiß man ja nie.“ Auf dem Weg zum nahen Stadtbahnhof wird lautstark die Zukunft diskutiert: „Generationenwechsel“, „Trainer rauswerfen“, „Messi bleibt“, „Messi geht“, „Katar 2022 dann im Sommer, kein Nebel“.

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