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Die Wahrheit

Der Leiter der Klinikkita, Prof. Dr. h. c. Böger, hat ein Problem. Nicht, dass man ihm die Pfeife im Mund übel nähme, das Genuschel, gickern die Jüngeren unter den Erzieherinnen, sei schließlich besser zu ertragen, als der Wortlaut seiner Pädagogik. Das Problem des Kitaleiters ist die Undankbarkeit. Unermüdlich hat er sich für die Bildung des Kliniknachwuchses eingesetzt, hat Kugeln auf Rechenschiebern hin und hergerollt, Schiefertafeln vollgekritzelt, nur um hinterher gefragt zu werden, warum er keine Computer angeschafft habe. Was für eine Pfeife!

Und dann auch noch das: Nicht nur Dr. Strieder hat Fernsehverbot bekommen, sondern auch Professor Böger. Allerdings nicht von der Moderatorin mit der blonden Strähne, sondern vom Chefarzt höchstpersönlich. Sein Auftritt sei der Performance der Klinik nicht dienlich, hieß es dazu knapp.

Was habe ich nur falsch gemacht, fragt sich Kitaleiter Böger seitdem jeden Morgen und blickt in den Spiegel. Sind meine müden Augen nicht Beweis genug für meinen Einsatz?

Etwas nervös steht der Kitaleiter vor der Praxis, den Hut weit ins Gesicht gezogen. Die Antwort des Spiegels war eindeutig. Überprüfe dein Selbstbild, lautete sie, lass dich coachen. Also hat der Kitaleiter all seinen Mut zusammengenommen, nahm den Bus in den Außenbezirk, wo die Praxis lag, die er sich ausgesucht hatte. Nicht einmal seiner Frau hat er was gesagt. Entgegen dem Rat seines Spiegels hatte sich Böger für die gründliche Lösung entschieden. Nicht coachen wollte er sich lassen, sondern runderneuern. Das Übel an der Wurzel anpacken, endlich, schließlich gab es da ja noch einen Restbestand an pädagogischem Ethos. Wollte er den Kleinen nicht mal Vorbild sein?

Der Kitaleiter schaut auf die Uhr. Es ist fünf vor zwölf. Er schaut sich um, keiner weit und breit zu sehen, die Luft ist rein. Prof. Dr. h. c. Böger klingelt. Eine Sprechstundenhilfe öffnet. Sie bittet ihn ins Wartezimmer, so nimmt das Unglück seinen Lauf.

Scheiße, entfährt es dem Professor, da war die Pfeife schon verloren. So muss er nun im Wortlaut grüßen. Einen nach dem andern, denn im Wartezimmer sitzt die halbe Visite. Nur der Chefarzt, sein Verwaltungsdirektor und das Pflegepersonal fehlen.

Womit habe ich das verdient, fragt sich der Kitaleiter und sucht vergeblich einen Spiegel. Aus der Tür zum Behandlungszimmer ruft die Sprechstundenhilfe: Der Nächste bitte!

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