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„Generalverdacht? Aber ja!“

KONTROLLE Polizeiwissenschaftler Rafael Behr über Defizite bei der Verfolgung von Polizeigewalt

Rafael Behr

■ 57, ist Dekan des FH-Bereichs der Akademie der Polizei. Seit 2008 Professor für Polizeiwissenschaften Foto: Polizei HH

taz: Herr Behr, wie gut funktioniert die Verfolgung von Polizeigewalt?

Rafael Behr: Es gibt traditionell eine enge Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Institutionen, die sie kontrollieren, also den Gerichten und der Staatsanwaltschaft. Aber das sind gleichzeitig die einzigen Instanzen, die die Polizei zu ihrer Kontrolle zulässt. Dieser enge Arbeitszusammenhang bewährt sich im Alltag – birgt aber auch Risiken.

Welche?

Wenn Polizeibeamte involviert sind und in eine Parteilichkeit geraten, wird es schwierig. Wenn sie also entweder selbst Opfer von Gewalt werden oder unverhältnismäßig Gewalt ausüben. Dann sind sie nicht mehr neutral, das heißt: Der Staat hat seine neutrale Funktion verloren. In der juristischen Aufarbeitung genießt die Polizei dann meistens einen Vertrauensvorschuss gegenüber der anderen Partei.

Der nicht immer gerechtfertigt ist.

Außerdem reicht die Aufarbeitung auf rein juristischer Ebene nicht aus: Viele fühlen sich vom Staat schlecht behandelt, wenn sie Opfer von Polizeigewalt werden. Dafür sieht das Strafrecht keine Lösung vor, es kennt nur „schuldig“ oder „nicht schuldig“. Andere Vergleichsmöglichkeiten werden nicht diskutiert.

Woran denken Sie da?

Zum Beispiel an einen Täter-Opfer-Ausgleich. Aber sowas darf man gegenüber der Polizei nicht fordern, sonst wird man gleich mit dem Vorwurf konfrontiert, man stelle die Polizei unter Generalverdacht. Diesen Vorwurf so zu äußern, halte ich für rechtsstaatlich bedenklich. Natürlich müssen wir die Polizei unter Generalverdacht stellen! Jede Maßnahme muss für Nichteingeweihte nachvollziehbar und transparent sein. Außerdem stellt der Staat die Bürger ja auch unter Generalverdacht. Allein, dass man beim HVV vorne einsteigen muss, ist ein Generalverdacht gegen alle: als potenzielle Schwarzfahrer.

Was schlagen Sie vor?

Eine Möglichkeit wäre eine unabhängige Schnittstelle zur Überwachung der Polizei, ein Ombudsmann, oder eine Institution, die Vorfälle komplex aufarbeitet. Aber dagegen wehren sich die Gewerkschaften, weil es Einblick in den Polizeialltag gewähren würde.  INTERVIEW: KSCH

Podiumsdiskussion „Rechtsstaatliche Defizite bei der Verfolgung von Polizeigewalt“ mit Rafael Behr; Ulrike Lembke, Uni Hamburg; Oberstaatsanwalt Lars Mahnke und Lutz Krüger, Dezernat für interne Ermittlungen: 18 Uhr, Rechtshaus, Rothenbaumchaussee 33, Hörsaal

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