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3.000 ANSCHLÄGE AUF DIE KOALITION (11): PETER KRUCKENBERG FORDERT, PSYCHIATRIE NICHT AUF KOSTEN DER SCHWEREN FÄLLE ZU REFORMIERENGrundrechte stehen auf dem Spiel

Peter Kruckenberg

■ 76, ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) in Bremen. Vor seinem Ruhestand war er Ärztlicher Direktor im Klinikum Bremen-Ost. Er ist seit Langem Akteur und Begleiter der Psychiatriereform.

Eigentlich ist das Behandlungs- und Hilfesystem für Menschen mit psychischen Erkrankungen in Bremen auf einem guten Weg – mit lebendigem Engagement vieler Beteiligter: Die Bürgerschaft hat ein umfassendes Reformprogramm einstimmig beschlossen. Arbeitsgruppen mit VertreterInnen der Leistungserbringer, PatientInnen, Angehörigen und Beschäftigten fördern Projekte zur Qualitätsverbesserung. Für Bremerhaven ist ein Verbund zur verbindlichen Überwindung von Versorgungs-Bruchstellen durch Kooperation und Steuerung der Dienste und Einrichtungen unter Mitarbeit der Krankenkassen in intensiver Vorbereitung.

Aber bei der Behandlung von schwer akut kranken PatientInnen, die am stärksten gefährdet und deren Angehörige besonders belastet sind, bleiben die Verantwortlichen untätig. Grund ist ein widerrechtlicher Personalabbau: Für diesen Zweck vorgesehene Gelder werden zum Ausgleich von Defiziten in anderen Bereichen eingesetzt. Besonders im Klinikum Bremen-Ost: Zur Bewältigung kritischer Situationen muss das überlastete therapeutische Personal vermehrt Medikamente einsetzen, Stationen schließen und die Behandlungs- und Entlassungsplanung reduzieren. Der Krisendienst ist überlastet, seine Existenz durch Personalabbau gefährdet. Dabei nimmt die Zahl der Zwangseinweisungen weiter zu.

Die auch mit Bürgerschaftsabgeordneten besetzte Besuchskommission klagte wiederholt über unerträgliche Zustände auf bestimmten Stationen. Gleichzeitig wird eine freundliche Station mit vielen Aktivitätsmöglichkeiten und Freigelände ohne Abstimmung mit Fachleuten von der Geschäftsleitung überfallartig geschlossen.

Dies alles war unbestritten bei dem öffentlichen Wahlprüfungsgespäch der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) im Februar – mit den gesundheitspolitischen Sprechern der Bürgerschaftsfraktionen im Beisein der Abteilungsleiterin der senatorischen Behörde. Man war sich einig, dass dringend notwendig sei, die vorgeschriebene Personalausstattung unter externer Kontrolle wiederherzustellen. Ein kooperativer Führungsstil der Gesundheit Nord mit zielorientierter Hierarchie-übergreifender Abstimmung der fachlichen und strukturellen Erfordernisse müsse eingerichtet werden und die verbindlich vereinbarte Zusammenarbeit gefördert werden. Für mehr Transparenz und Qualitätsförderung sollten die unabhängigen Fürsprache- und Beschwerdestellen unterstützt sowie mehr Psychiatrie-erfahrene Genesungsbegleiter eingestellt werden.

Verhandlungssachen

Die Nachwahlrangeleien haben die Programme verflüssigt: Es tauchen Pläne auf, Ideen werden konkretisiert und Vorhaben benannt, von denen vor dem 10. Mai noch gar nicht so recht die Rede war. So wollen die designierten Koalitionäre ihre Profile schärfen. Die Gastkommentar-Serie der taz hilft Grünen und SPD dabei: Hier bündeln AkteurInnen der Zivilgesellschaft ihre Forderungen in Texten von je 3.000 Anschlägen.

■ Heute: Peter Kruckenberg, Arzt und Wegbegleiter der Psychiatriereform

Das war vor 100 Tagen, in denen nichts passiert ist. Dabei könnten Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen bei angemessener Behandlung entscheidende Fortschritte in seelischer Gesundheit erreichen. Wenn die Geschäftsführungen von öffentlichen Betrieben nicht bereit sind, diese so zu führen, dass Grundrechte angemessen beachtet werden – dann ist der vom neuen Gesundheitssenator geleitete Aufsichtsrat in der Verantwortung. Die DGSP hat ihn angeschrieben.

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