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Weniger Streiks ohne weniger Rechte?

REFORM Der Bundestag hört Experten zu den Auswirkungen des geplanten Tarifeinheitsgesetzes an. Ihre Meinungen: gespalten

BERLIN taz | Vor dem großen Streik der Lokführergewerkschaft GDL haben am Montag Experten im Bundestag über das Tarifeinheitsgesetz der Bundesregierung debattiert. Die entscheidende Frage: Schränkt die Regierung die Handlungsfähigkeit und das Streikrecht kleiner Gewerkschaften wie der GDL zu sehr ein? Diese begründet den angekündigten Streik bis Sonntag auch damit, dass ihr die Hände gebunden seien, wenn das Gesetz erst in Kraft getreten ist.

Der Gesetzentwurf, den die Große Koalition vor der Sommerpause im Bundestag beschließen will, soll verhindern, dass es zu verschiedenen Tarifverträgen im selben Betrieb kommt. Haben eine große und eine kleine Gewerkschaft widerstreitende Vereinbarungen für dieselben Arbeitnehmer in einer Firma geschlossen, soll der Tarifvertrag der mitgliederstärkeren Organisation gelten.

Sinn der Sache: Die Spitzen von Union und SPD wollen Streits zwischen konkurrierenden Gewerkschaften und entsprechende Streiks – wie derzeit bei der Bahn – verhindern.

Hebelt das Gesetz die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer aus? Nein, argumentierte Hans-Jürgen Papier. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts erklärte, dass der Gesetzentwurf die im Artikel 9 des Grundgesetzes garantierte Freiheit, Gewerkschaften zu gründen, nicht beeinträchtige. Schließlich habe der Gesetzgeber die Aufgabe, das Grundrecht durch konkrete Regeln auszugestalten. Diesen Rahmen überschreite die Regierung nicht.

Anders sah das der ehemalige FDP-Innenminister und Anwalt Gerhart Baum. Er betrachtete das Mehrheitsprinzip als Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Denn der Minderheitsgewerkschaft werde die Möglichkeit genommen, einen eigenen Tarifvertrag zu schließen.

Der Juraprofessor Wolfgang Däubler bemängelt außerdem, dass auch das Streikrecht demontiert werde. Könne eine kleine Gewerkschaft keinen Tarifvertrag abschließen, habe es keinen Sinn, wenn sie streike.

Dagegen argumentierte der Deutsche Gewerkschaftsbund, auch Streiks kleiner Gewerkschaften blieben weiterhin möglich. Das stehe sogar wörtlich in der Gesetzesbegründung der Regierung.

Kommt es dann seltener zu Tarifkonflikten und Streiks? Ja, sagte der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing. Der Wert des Gesetzentwurfes bestehe in seiner „stabilisierenden Wirkung“. Weil Kleingewerkschaften mit wenigen Mitgliedern die Aussichtslosigkeit ihrer Anstrengungen einsähen, würden sie einen Konflikt nicht so auf die Spitze treiben wie gegenwärtig die GDL.

Die Gegenposition vertrat zum Beispiel der Deutsche Beamtenbund, dem die GDL angehört. Es bestehe die Gefahr, dass das Gesetz zu verschärfter Konkurrenz und zusätzlichen Konflikten führe. Während große und kleine Gewerkschaften sich bisher bei Tarifverhandlungen meist absprächen, könnten die mitgliederstarken Organisationen das Mehrheitsprinzip künftig als Aufforderung verstehen, die kleinen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.

HANNES KOCH

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