piwik no script img

Alles auf Anfang in der Linkspartei

EUROPAWAHL Auf dem nächsten Parteitag sind die Ostdelegierten wieder in der Mehrheit. Der Postenstreit ist entbrannt

Gut möglich, dass die Linkspartei pragmatischere Kandidaten für Europa wählt

AUS BERLIN STEFAN REINECKE

In der Linkspartei gibt es wieder eine grundsätzliche Debatte um den politischen Kurs. Im Entwurf für das Programm zur Europawahl im Mai hatte der linke Flügel – namentlich Diether Dehm – ein paar schroffe Formulierungen mit antieuropäischen Untertönen durchgesetzt. So heißt es in der Präambel, die Europäische Union sei eine „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“. Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte diese Passage kürzlich deutlich: „Für linke Internationalisten gibt es kein Zurück zum früheren Nationalstaat“, erklärte er – und wiederholte damit wortwörtlich die Position des verstorbenen früheren Parteivorsitzenden Lothar Bisky.

Dominic Heilig, der zum pragmatischen Flügel zählt, hält die gesamte Präambel für lückenhaft. „Wir müssen klarmachen, was die Linke in der EU konkret verändern will – und nicht nur boshafte Zuschreibungen verteilen“, so Heilig zur taz. Der reformorientierte Flügel um das Forum Demokratischer Sozialismus (fds) will einen eigenen Entwurf für eine Präambel ohne Anti-Brüssel-Affekte vorlegen.

Entschieden wird der Streit über Programm und Personal beim Parteitag in Hamburg am 15. und 16. Februar. Dort werden die Kandidaten für die neue Fraktion GUE/NGL gewählt. Aussichtsreich sind nur die ersten sieben Plätze: Die Linkspartei schneidet bei Europawahlen in der Regel schlechter als bei Bundestagswahlen ab. Als gesetzt gilt Gabi Zimmer, derzeit Fraktionschefin der GUE/NGL, auf Platz eins der Liste. Laut Vorschlag des Bundeshauptausschusses sollen auf den nachfolgenden Rängen Tobias Pflüger, Cornelia Ernst, Helmut Scholz, Sabine Lösing und Fabio De Masi und Sabine Wils in Hamburg nominiert werden. Doch daran wird sich wohl noch Entscheidendes ändern.

Vor allem die Kandidatur von Tobias Pflüger als Nummer zwei ist umstritten. Pflüger machte sich als Friedensaktivist einen Namen, war von 2004 bis 2009 Europaabgeordneter und ist ein entschiedener Parteilinker. Im Bundeshauptausschuss hatte sich Pflüger per Losentscheid gegen den gewerkschaftsnahen Westlinken und EU-Abgeordneten Thomas Händel durchgesetzt. Händel wird in Hamburg dennoch für Platz zwei kandidieren. Ihm werden gute Aussichten bescheinigt, Pflüger diesmal aus dem Feld zu schlagen.

Denn: Hamburg wird der erste Parteitag ohne Privilegien für die Westlandesverbände sein. Bei der Fusion von WASG und PDS war vereinbart worden, dass es fünf Jahre lang eine Delegiertenschlüssel gibt, der den Westen bevorzugt. Damit sollte verhindert werden, dass die personell im Aufbau befindlichen Westlandesverbände stets überstimmt werden können. Diese Regelung ist nun ausgelaufen. In Hamburg werden etwa 320 Delegierte aus dem Osten und rund 180 aus dem Westen kommen. Außerdem sind die eher dem linken Flügel zuneigenden Arbeitsgruppen wie „Cuba Sí“ bei der Kandidatenwahl nicht mehr stimmberechtigt.

Auch dass die Westlinken Sabine Lösing, Sabine Wils und Fabio De Masi gewählt werden, ist daher keineswegs sicher. So wird die EU-Abgeordnete Martina Michels gegen Wils oder Lösing antreten, Dominic Heilig gegen Wagenknechts Mitarbeiter De Masi kandidieren. Es ist gut möglich, dass die Linkspartei in Hamburg am Ende ein Kandidatenensemble wählt, das deutlich anders aussieht als der Vorschlag des Bundeshauptausschusses – nämlich östlicher und pragmatischer.

Allerdings: Ob die Ostpragmatiker die numerische Mehrheit auch nutzen, ist nicht sicher. Beim letzten Europaparteitag 2009 traten sie schlecht abgestimmt und planlos auf – und kassierten eine Niederlage.

Meinung + Diskussion SEITE 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen