: Was an der Scheibe klebt
ÜBER PLATTEN Dem Digital-Zeitalter zum Trotz setzen in Hamburg immer noch 26 Plattenläden auf Vinyl. Ein Buch zeigt, wer sich hinter ihnen verbirgt
Plattenläden sind längst nicht mehr der schnellste Weg, an Musik zu gelangen. Wer hier ankommt, hat entweder schon einen längeren Marsch der geschmacklichen und akustischen Differenzierung hinter sich oder keine Scheu, einen dieser coolen Typen, die hier hinter dem Tresen stehen, nach einer möglichen Abkürzung oder Schleichwegen zu fragen. Sind Tonträger aus Vinyl – ähnlich der analogen Fotografie oder dem farblosen Fernsehen – deshalb Schnee von gestern?
Nein, dass Schallplatten bereits obsolet geworden sind, davon geht keiner der 41 Hamburger Plattenladen-Betreiber aus, die das soeben erschienene Buch „Recorded“ porträtiert. Ob ihre Läden aber eine Zukunft haben, bleibt vor allem deshalb offen, weil es in ihnen immer schon um mehr ging als schlichten Warentausch und das schnödes Geschäft. Aber auch letztgenanntes laufe, erklärt da Herbert Sembritzki von der „Plattenrille“, langsam wieder besser. Aber: „Die Zeit der CD jedoch ist vorbei.“
In dem quadratischen Pappband, einer Ansammlung von Porträts und Interviews nach ähnlichem Strickmuster, berichten Plattenladen-Betreiber von ihren ersten Berührungen mit Musik und deren klassischen Vertriebskanälen. Nicht selten sind es Leute, die es aus kleineren Städten nach Hamburg zogen. Doch was macht einen guten Plattenladen aus?
„Er muss immer die wirklich wichtigen Platten bei sich im Geschäft haben“, sagt Dirk Johannsen von Crypt Records: „Auch wenn sie nur einmal im Jahr verkauft wird, wird sie sofort nachbestellt.“ Wer dann und wann einer der 26 unabhängig betriebenen unter den hamburgischen Plattenläden betritt, der trifft in dem Buch auf alte Bekannte oder vielleicht gar Helden von einst. Denn hier geht es vor allem um diese Leute selbst, die ihr Interesse und Wissen vermitteln. Und so werden da Typen gezeigt, bei denen sich das bevorzugte Musik-Genre im Erscheinungsbild habitualisiert. Beim Lesen oder auch nur Blättern fällt noch etwas anderes auf: Das Plattengeschäft ist ein ziemliches Jungsding.
Das Buch tut gar nicht so, als spiegele es die Welt. Mit seinem Nebeneinander liefert es eher einen konsensualen Einblick in eine doch eigentlich auf Distinktion bedachte Welt. LKA
Nicolas Christitch/Katrin Vierkant: „Recorded – Live in Hamburgs Plattenläden“, Junius-Verlag 2015, 240 S. mit über 1.000 Farbabb., 29,90 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen