: Freiwillig in die Teilzeit-Falle
Besonders Frauen sind von Alters-Arbeitslosigkeit betroffen. Das ist umso dramatischer, als sie kaum Rentenansprüche angesammelt haben
Texte und Foto sind dem Buch „Lust auf Arbeit. Vom Wert der Jahre“ entnommen, das die Bremer Umsetzung des Bundesprogramms „Perspektive 50+“ dokumentiert. Herausgeberin ist die Bremer Arbeit GmbH (BAG), die in Bremen Menschen über 50 in öffentlich geförderte Arbeit vermittelt – zunächst auf ein Jahr befristet. In der Stadtbibliothek sind bis zum 18. März Porträts der Teilnehmenden von der Fotografin Kathrin Doepner ausgestellt. Susanne Gieffers war Redakteurin der taz bremen und ist heute Öffentlichkeitsreferentin der BAG. Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz in Berlin. taz
Katja Barloschky (Hg.): Lust auf Arbeit. Vom Wert der Jahre. Bremen 2007.
Frauen über 50 zählen zu den großen Risikogruppen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Um die bittere Realität der älteren Arbeitnehmerinnen kurz zu skizzieren: Im Juli 2007 waren bundesweit 3,72 Millionen Arbeitslose registriert. Davon waren 501.201 älter als 50 Jahre– und weiblich. Schon diese schlichte Zahl zeigt, wie schwierig es für ältere Frauen ist, eine Beschäftigung zu finden. Um jedoch die ganze Wucht der Arbeitslosenzahlen zu verstehen, muss man zudem wissen, dass überhaupt nur wenige ältere Frauen einer bezahlten Tätigkeit nachgehen, die mehr ist als ein Minijob. Rund drei Millionen Frauen jenseits der 50 sind regulär beschäftigt. Da wiegt es schwer, dass weitere 501.201 Frauen der gleichen Altersklasse offiziell arbeitslos sind. Die Chancen stehen nicht gut, eine neue Stelle zu finden, wenn man die alte verloren hat.
Zudem sind selbst diese Zahlen noch geschönt. Denn längst nicht jeder Langzeitarbeitslose ist in der Statistik erfasst. Es gibt rund 1,5 Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger, die nicht als arbeitslos gelten. Nimmt man auch diese Dunkelziffer noch hinzu, dann sind – grob geschätzt – rund 25 Prozent der älteren Frauen arbeitslos.
Der „erste Arbeitsmarkt“ kann nicht alle absorbieren, die gern an ihm teilnehmen würden. So geraten die jüngsten Sozialreformen zu einem gigantischen Sparprogramm bei den Chancenlosen. Das wissen die Betroffenen. Vor allem langzeitarbeitslose Frauen sind gefährdet, von Hartz IV bruchlos in die Altersarmut zu rutschen. Denn sie haben in ihrem Erwerbsleben nicht genug Beitragspunkte für die Rentenversicherung angesammelt, wie eine Erhebung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung jüngst ergeben hat. Die Ergebnisse der Umfrage sind erschütternd: Bei den westdeutschen Hartz-IV-Empfängerinnen jenseits der 50 können genau null Prozent mit einer Rente über der Armutsgrenze rechnen. Null Prozent. Nicht eine Einzige. So eindeutig sind Statistiken selten.
Für arbeitslose Frauen in Ostdeutschland sieht es momentan noch besser aus, weil sie auf lange Erwerbsbiografien zurückblicken können. Doch schon für die nächste Generation, also alle Jahrgänge ab 1960, wird es genauso hart wie im Westen.
Ältere Hartz-IV-Empfängerinnen können der Altersarmut nur entkommen, wenn ihr Partner über eine deutlich bessere Rente verfügt. Doch ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass eine Rente allein reicht, um ein Paar über die Armutsgrenze zu hieven. Denn nach den letzten Sozialreformen sind die Renten stark gesunken. Selbst für die Mittelschicht wird es schon eng: 2006 erhielt ein männlicher Neurentner im Durchschnitt monatlich 790 Euro, eine Neurentnerin bekam ganze 434 Euro, wie die Deutsche Rentenversicherung jüngst mitgeteilt hat. Viele Rentner kommen nur zurecht, weil sie noch über privates Vermögen wie ein Eigenheim oder Sparkonten verfügen. Doch gerade Langzeitarbeitslose konnten meist gar nicht für ihr Alter vorsorgen.
Aber vielleicht wird es ja wenigstens für die nächste Generation besser, wenn sie heranaltert: Schließlich hat die EU im März 2000 im Rahmen ihrer LissabonStrategie beschlossen, die Erwerbstätigenquote bei den 55- bis 64-Jährigen zu erhöhen – und zwar auf 50 Prozent.
Und tatsächlich hat sich die Zahl der älteren Arbeitnehmer jenseits der 50 auch deutlich erhöht. 1998 waren es 8 Millionen; 2006 schon 9,54 Millionen. Dabei sind allerdings auch die Minijobs mitgezählt. Trotzdem sieht es zunächst nach einem gewaltigen Erfolg aus und wirkt, als seien in nur acht Jahren viele neue Stellen für ältere Arbeitnehmer entstanden. Die Wahrheit ist banaler. Die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge sind schlicht gealtert und in die statistische Gruppe der über 50-Jährigen hineingewachsen.
Ob eine Frau später kurz vor ihrer Rente zu den Arbeitslosen und Unbeschäftigten zählt, das entscheidet sich in jungen Jahren. Wer Prognosen wagen will, wie es den älteren Arbeitnehmerinnen der Zukunft ergeht, muss daher die heute 30- bis 45-Jährigen betrachten. Diese weibliche Generation scheint zunächst besser zu fahren. So ist die Zahl berufstätiger Frauen seit 1991 deutlich angestiegen – allerdings hat ihr Arbeitsvolumen insgesamt nicht zugenommen. „Es verteilt sich lediglich auf mehr Personen“, stellt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung lakonisch fest. Anders ausgedrückt: Die Zahl der Vollzeitstellen ist stark gesunken, dafür haben viele Frauen eine Teilzeitstelle oder einen Minijob gefunden. Inzwischen liegt die Teilzeitquote bei den Frauen im Westen bei 51,1 Prozent, im Osten sind es 38,1 Prozent (2004). Die meisten Frauen reduzieren freiwillig – zumindest im Westen. Dort geben ganze 11 Prozent der Teilzeitkräfte an, dass sie gern mehr arbeiten würden. Im Osten dagegen sind es 54 Prozent, die nur auf einer Teilzeitstelle sitzen, weil sie keinen vollen Arbeitsplatz finden.
Ist das gezeichnete Bild zu düster? Man kann es so sehen. Denn viele Frauen arbeiten freiwillig Teilzeit. Sie verzichten bewusst auf das Geld, um mehr Freiräume zu entwickeln. Und viele genießen ihre Patchwork-Biografie, sind gern in Bewegung. Ulrike Herrmann
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