: Tote bekommen Namen
Neue Dokumentation der Antirassistischen Initiative gibt Opfern der Flüchtlingspolitik einen Namen und nennt Zahlen: 2007 gab es fünf Tote wegen Abschiebung
Wenn man bei Google den Namen Mohamed Mechergui kombiniert mit Abschiebegefängnis eingibt, wird man nicht fündig. Dabei hat der Mann in Berlin traurige Berühmtheit erlangt: Der 28-jährige Tunesier hatte sich am 30. Dezember im Abschiebegefängnis Köpenick erhängt. Zwei Tage vorher war er bei einem Ladendiebstahl erwischt und in Abschiebehaft genommen worden. In den Medien hieß es im Anschluss jedoch nur, dass ein Asylbewerber Selbstmord begangen hat.
Dass der Tote jetzt einen Namen hat, ist der Dokumentationsstelle bei der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) zu verdanken. Seit 1993 wurden dort über 5.000 Einzelgeschehnisse aufgelistet, die sowohl die Folgen rechtsradikaler Angriffe als auch negative Auswirkungen staatlicher Flüchtlingspolitik auf die Betroffenen dokumentieren. Jetzt ist die 15. Auflage der Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ erschienen, in der die Ereignisse des letzten Jahres eingearbeitet sind.
Wenn man die recherchierten Einzelgeschehnisse des letzten Jahres liest, fällt auf, dass der Tod eines Flüchtlings in Abschiebehaft oder bei der Abschiebung kaum noch für Schlagzeilen sorgt. So starben im letzten Jahr fünf Menschen beim Versuch, sich der drohenden Abschiebung durch Flucht oder Selbstmord zu entziehen. Dazu gehörte der 30-jährige Kurde Mustafa Alcali, der sich am 27. Juni 2007 in der Abschiebehaft in Frankfurt am Main erhängt.
Zwei Personen sind nach der Abschiebung gestorben. Der 63-jährige Amrus Aljiti erlag vier Wochen später in Bosnien wegen fehlenden Insulins seiner schweren Diabetes. Ärzte und Menschenrechtler hatten mit Verweis auf seine schwere Erkrankung vergeblich ein Bleiberecht gefordert. Die 24-jährige Sherry Alex stirbt am 7. Juni 2007 kurz nach ihrer Abschiebung in Angola an Malaria. In neun Fällen konnte nachgewiesen werden, dass Abgeschobene in ihrem Herkunftsländern von Polizei und Militär misshandelt und gefoltert wurden. Hier sei ebenso von einer höheren Dunkelziffer auszugehen wie bei den 16 im vergangenen Jahr während ihrer Abschiebung durch Zwangsmaßnahmen deutscher Beamter verletzten Flüchtlingen, sagte Ute Sprenger von der ARI-Dokumentationsstelle.
„Wir überprüfen alle Meldungen gründlich und verlassen uns nicht nur auf eine einzige Quelle“, erklärt Sprenger das Vorgehen. Die ARI hat ihre Wurzel in den bundesweiten Protesten gegen die faktische Abschaffung des Asylrechts im Jahr 1993. Zum 15-jährigen Jubiläum planen Flüchtlingsgruppen und antirassistische Initiativen im Juli 2008 zahlreiche Aktionen und eine Großdemonstration in Berlin. Die Dokumentation der ARI liefert hier sachliche Informationen über die Folgen des Gesetzes. Peter Nowak
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