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Tod von der Liste

In der russischen Teilrepublik Dagestan wurden am Freitag gleich zwei regimekritische Journalisten ermordet

Wenige Stunden nachdem der dagestanische Fernsehreporter Iljas Schurpajew am Freitag in seiner Moskauer Wohnung mit einem Gürtel erdrosselt wurde, ist in Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, ein weiterer Journalist, Gadschi Abaschilow, Chef der staatlichen Fernseh- und Rundfunkanstalt Dagestan, ermordet worden.

Damit haben die Repressionen gegen oppositionelle Kräfte in der Kaukasusrepublik nach dem Mord an einem Politiker im November einen neuen Höhepunkt erreicht. Ende Januar kritisierte Präsident Muchu Aliew die unabhängige Presse, weil diese die Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den Extremismus diskreditiere. Übergriffe auf Journalisten folgten.

Das jüngste Opfer, Gadschi Abaschilow, wurde im Zentrum von Machatschkala aus einem fahrenden Auto heraus erschossen. Sein Fahrer wurde verletzt, ist aber mittlerweile außer Lebensgefahr. Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka hat den Mord an Abaschilow zur Chefsache erklärt. Das Auto, aus dem die tödlichen Schüsse auf den 58-Jährigen abgefeuert wurden, konnte mittlerweile sichergestellt werden. Die Täter, von denen jede Spur fehlt, hatten noch versucht, dieses in Brand zu stecken. Noch zwei Stunden vor dem Mord hatte Abaschilow den Angehörigen des ermordeten Iljas Schurpajew kondoliert, der seine Mörder wohl gekannt hat. Zumindest hatte der 32-Jährige kurz vor der Tat den Pförtner gebeten, zwei jungen Besuchern Einlass zu gewähren, die seine Wohnung später in Brand steckten. Die dagestanischen Behörden haben inzwischen eine Belohnung von 10 Millionen Rubel für die Ergreifung der Mörder ausgesetzt.

Zwei Tage vor den Morden hatte das Internetportal Kawkaskij Usel, das von der Menschenrechtsorganisation Memorial betrieben wird, von einem Konflikt zwischen dem Generaldirektor der dagestanischen Zeitung Nastojaschee Wremja, Riswan Riswanow, und der Redaktion berichtet. Der Streit hatte sich unter anderem an einer Liste mit den Namen von neun Personen entzündet, die der Generaldirektor dem inzwischen entlassenen Chefredakteur übermittelt hatte. Die Redaktion dürfe diese Personen auf keinen Fall namentlich erwähnen, lautete die Anweisung. Das Pikante an der Liste: Die beiden Mordopfer stehen darauf.

Schurpajew, dessen Name sich an erster Stelle findet, schien diese Drohung nicht sonderlich ernst zu nehmen. In seinem Blog schreibt er achselzuckend: „Nun bin ich also auch ein Dissident geworden …“ Es war sein letzter Eintrag, wenige Stunden später war er tot.

Am Samstag versammelten sich in Moskau Dutzende Journalisten, um ihrer ermordeten dagestanischen Kollegen zu gedenken. Die Europäische Union und die Internationale Journalistenvereinigung IFJ forderten die russische Regierung auf, unverzüglich eine unabhängige Untersuchung der Morde einzuleiten.

BERNHARD CLASEN

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