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Über Tote auch Schlechtes?

Ein schonungsloser Nachruf auf den Düsseldorfer OB spaltet die Leserschaft des WAZ-Portals DerWesten.de

Natürlich gibt es diesen alten lateinischen Spruch, dass man über Tote nichts sagen soll, es sei denn Gutes. Was aber, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten extrem eitel war, egozentrisch, ein Besserwisser? Darf man das dann, etwa in einem Zeitungsnachruf, ohne Umschweife doch schreiben? Oder sollte man aus Pietätsgründen sanft mit dem Verblichenen umgehen?

Darüber wird derzeit heftig unter den Lesern von DerWesten.de gestritten, dem Internetportal der Essener WAZ-Gruppe. Vergangene Woche erschien dort ein Nachruf auf den wenige Stunden zuvor verstorbenen Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin. Der Text hat es in sich: Von „Charakterschwäche“ ist die Rede, von einer „tragischen Figur“, einem „Machtmenschen“, dessen Eigenwerbung „bald krankhafte Züge“ angenommen habe und der sich mit „autokratischem Führungsstil eine brave Gefolgschaft“ zusammengezüchtet habe.

Alles in allem lässt Frank Preuss, der Düsseldorfer Lokalchef der zur WAZ gehörenden Neuen Rhein Zeitung (NRZ), in seinem Text wenig Gutes über den Christdemokraten Erwin wissen. Und die Leserschaft ist gespalten. Einige finden den Nachruf treffend. Andere schimpfen, der Text sei „geschmacklos“ und der Autor ein „Widerling“, der sein „Schmierenhandwerk“ sicherlich „bei der Rotfront“ gelernt habe. An Härte jedenfalls stehen etliche Krawallkommentare dem Nachruf in nichts nach.

Autor Preuss sieht sich jedoch nicht nur der Kritik der Leser ausgesetzt; auch intern gab es Rüffel: Ursprünglich war der Text auch für die Printausgabe eingeplant, die Chefredaktion aber kippte ihn, weil er ihr zu scharf formuliert war. Der Artikel enthalte Formulierungen, die „in einem Nachruf nicht stehen sollten“, sagt Manfred Lachniet, der stellvertretende Chefredakteur der NRZ. Es sei der Eindruck entstanden, der Autor habe „nachtreten“ wollen.

Der Nachruf, der stattdessen erschien, beleuchtet zwar auch Erwins Schwächen, aber nicht in der Härte von Preuss’ Text. Im Internet kann man dessen Text übrigens immer noch lesen – und kommentieren. Was der Düsseldorfer Stadtverwaltung gar nicht passt. „Am Tag des Todes einen solchen Kommentar abzugeben“, wettert ein Sprecher, „ist ganz schlechter Stil und völlig pietätlos.“ Solange sich der Autor nicht entschuldige, werde man mit der NRZ nicht mehr sprechen.

Ob sich Preuss entschuldigen wird, war bisher nicht in Erfahrung zu bringen. Am Freitag weilte er noch im Urlaub, was auch den Schluss zulässt, dass der Nachruf auf den schwer erkrankten OB kein Schnellschuss, sondern schon längst geschrieben war. Nachrufe vorrätig zu haben ist in allen Redaktionen Usus. Journalistische Regeln für diese Textsorte, etwa im Pressekodex, existieren dagegen nicht.

Beim Presserat in Bonn heißt es, man müsse im Einzelfall prüfen, ob sich ein Nachruf mit den Persönlichkeitsrechten des Verstorbenen vertrage. Und auch der Eichstätter Journalistikprofessor Walter Hömberg findet, es sei Abwägungssache. „Wenn jemand Schattenseiten hatte, wäre es falsch, sie wegzulassen“, sagt er. Neben den Fakten komme es aber bei einem Nachruf auch noch auf etwas anderes an – „auf die Form“. BORIS R. ROSENKRANZ

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